Bei Harzreisen denkt man natürlich gleich an Goethe und Heine, aber auch ganz normale Menschen wie wir möchten wenigstens einmal im Leben auf dem Brocken gewesen sein.
Dafür genügt ein Wochenende.
Freilich: da muß man mit dem Auto, wenn man aus dem Rhein-Main-Gebiet kommt, erst einmal Nordhessen durchqueren – und das tut weh.
Gerade der Norden Hessens war immer eine der schönsten deutschen Landschaften. Hügel und Wälder, wohin man blickte, und selbst von der Autobahn aus war es eine Augenweide. Und jetzt?
Selten ist eine Landschaft so brutal zerstört worden. (Im osthessischen Vogelsberg ist es übrigens ähnlich, von der Pfalz ganz zu schweigen.) Die Barbaren, so könnte man meinen, haben ein wunderschönes, altes Natur- und Kulturland für immer zerstört.
Es gibt kaum noch eine Blickachse ohne diese Windkraftmonster, und wer noch nicht ganz gefühllos geworden ist, muß lange nach einem Plätzchen ohne sie suchen. Dabei gibt es Schuldige, die man benennen kann: Merkel vorneweg und ihren unerforschlichen Ratschluß, ein gut funktionierendes Energiesystem fast von einem Tag auf den anderen abzuschaffen und sich ausgerechnet für die Windkraft zu entscheiden. Und dann noch die Parteien, dazu eine gefühlsduselige Mehrheit in der Bevölkerung – und leider auch fast alle großen „Naturschutzverbände“ (in Anführungszeichen deshalb, weil sie die Natur nicht mehr schützen, sondern mit ihrer Ingenieursmentalität kräftig zur Zerstörung der Natur beitragen).
Das ist im übrigen keine Sache der „Ästhetik“, als die sie die Befürworter gerne hinstellen möchten, so als wären die Gegner der Windkraftanlagen überempfindliche Feingeister, ihre Befürworter aber vernünftige Realisten. Nein, jeder, wirklich jeder Mensch braucht eine unberührte, von jeder Technik freie Natur, auf der das Auge ruhen, in der man zu Ruhe und Frieden kommen und sich vom technischen und banalen Alltag erholen kann. Berge, Täler, Wald und Felder, nur sie laden (wie man heute gern in einer gar nicht so falschen Metapher sagt) den „Akku“ wieder auf.
Das alles braucht der Mensch, es ist für ihn lebenswichtig!
In unsere schönen Mittelgebirge solche Windkraftmonster zu stellen, das ist, als baue man mitten hinein in eine pittoreske Kleinstadt mit Fachwerkhäusern, einer Backsteinkirche und einem gemütlichen Marktplatz ein Hochhaus mit 22 Stockwerken. Barbarei eben.
Auch das Plateau auf dem Brocken (1141 m) ist nicht gerade schön, aber das hat historische Gründe und bietet keine Rechtfertigung für die Barbaren von heute.
Wir sind übrigens nicht mit der (reichlich überteuerten) Schmalspurbahn auf den Brocken gefahren, sondern von Schierke aus mit einem Pferdefuhrwerk, was nicht nur billiger, sondern auch viel angenehmer war. Ein, zwei Mal – da wo es besonders steil war – sind wir alle ausgestiegen, um die Pferde zu schonen, und der Kutscher hat uns manches über Schierke, den Brocken und die alte Zonengrenze erzählt. Gut zwei Stunden hat die Fahrt zum Brocken gedauert, und etwa anderthalb Stunden die Rückfahrt. Alles zusammen für 28 € pro Person, und unser kleiner Hund ist für 2 € mitgefahren (in der Brockenbahn hätte sein Transport allein fast 20 € gekostet).
Die Kutschfahrt war mild und sonnig, aber oben auf dem Brocken (man weiß es ja!) ging ein kalter Wind, und innerhalb einer Minute waren alle Türme im Nebel unsichtbar geworden. Auch das muß man einmal erlebt haben.
Unterhalb des Gipfels blühte (wie im ganzen Harz) an den Wegrändern verschwenderisch das Fuchs’sche Greiskraut (Senecio fuchsii), eine Gebirgspflanze, die ich freilich in so großer Zahl noch nirgends gesehen habe.
Schon nach ein paar hundert Metern unterhalb des Gipfels war dann die Sonne wieder da, und das Frösteln hatte ein Ende.