Will der türkische Präsident die ganze Welt für dumm verkaufen? Glaubt er allen Ernstes, daß wir hier im Westen so naiv sind wie das letzte anatolische Bäuerlein, das davon träumt, dem büyük lider wenigstens einmal im Leben die Hand zu küssen?
Erdogan hat sich nie um die Demokratie geschert. Der Satz, für den er 1998 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde (er wird dem Schriftsteller Ziya Gökalp zugeschrieben), faßt Erdogans Demokratieverständnis perfekt zusammen:
Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.
Wenn es auf dem weiten Erdenrund einen Politiker gibt, der ganz und gar nicht zu unserer westlichen Demokratie paßt, dann ist das Tyyip Erdogan. Das wird mit jedem Tag deutlicher.
Ich will einmal die Zahlen anführen, die zum größten Teil von Erdogans AKP selbst stammen. Nach dem „Putsch“ (was immer das jetzt genau war) sind auf Anweisung Erdogans folgende Maßnahmen getroffen worden:
2.700 Richter wurden abgesetzt (mehrere Verfassungsrichter, zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats und fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte sitzen jetzt im Gefängnis).
2.800 Soldaten und Offiziere wurden entlassen. 6.000 sind im Gefängnis, darunter 100 Generäle und Admiräle
9.000 Beamte wurden entlassen, darunter 30 der 81 Gouverneure und 52 Inspekteure
Entlassen wurden auch:
1.500 Beamte des Finanzministerium
100 Mitarbeiter des Geheimdienstes
8.000 Polizisten
21.000 Lehrer, darunter 1.577 Dekane und alle Rektoren der türkischen Universitäten
492 Geistliche und Religionslehrer.
24 Radio- und Fernsehsender wurden geschlossen. 1043 Privatschulen, 1229 Vereine oder Stiftungen, 19 Gewerkschaften und Verbände und 35 Gesundheitseinrichtungen wurden verboten.
Inzwischen wurden auch 42 Journalisten verhaftet.
Das alles sind aber Zahlen, die schon jetzt überholt sind. Man wird sie vermutlich mindestens verdoppeln müssen. Denn der Sultan räumt weiter auf, und es ist eine Schande, nein – das muß größer geschrieben werden:
es ist eine Schande,
daß sich weder Berlin noch Brüssel dazu durchgerungen haben, auf der Stelle die Beitrittsverhandlungen mit diesem Möchtegern-Diktator abzubrechen.
Es ist auch deshalb eine Schande, weil man damit die vielen wirklichen Demokraten in der Türkei im Stich läßt und sie dem Pöbel der nationalistisch berauschten AKP-Aktivisten ausliefert.
Nur der wird wirklich erpreßt, der sich erpressen läßt. Hat das die „mächtigste Frau der Welt“ nötig?