So steht es jedenfalls in der türkischen Presse, die (ähnlich wie in Putins Rußland) inzwischen zu einer Hetz- und Propaganda-Institution verkommen ist. Es sind keine selbstbewußten Journalisten mehr, sondern nur noch Sprachrohre des büyük lider, des großen Führers. „Unser Waffenbruder ist uns in den Rücken gefallen“, schreibt etwa die AKP-nahe Zeitung Sabah. Und Hürriyet, die der Sultan inzwischen auch gleichgeschaltet hat, spricht von einem „Völkermord an der Freundschaft“.
Sie feuern aus allen Rohren auf Deutschland, kaum jemand in der Türkei schreibt oder spricht ohne Schaum vor dem Mund. Das Bekenntnis zu einer historischen Schuld ist freilich immer schmerzhaft und schwierig, aber muslimische Gesellschaften scheinen mit ihrem seltsamen, hypertrophen Begriff von Ehre und Stolz damit ihre besonderen Schwierigkeiten zu haben. Da wird dann die Darstellung der eigenen Geschichte zu einer frommen Heiligenlegende: zu allen Zeiten hat das türkische Volk nur aus Helden oder doch wenigstens aus lauter guten Menschen bestanden. Niemals wäre ein Türke zu Untaten fähig, wie sie ihm vom Deutschen Bundestag vorgeworfen werden!
Wenn man das alles liest, was jetzt aus der Türkei an Empörung und Wut über unser Parlament schwappt, dann fragt man sich auch, wie es denn mit den Wissenschaften in der Türkei (und in anderen muslimischen Ländern) steht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß nicht nur die Kunst (Musik, Literatur, Malerei usw.) in der muslimischen Welt auf einem historischen Tiefpunkt angelangt ist, sondern auch die Wissenschaft. Man protzt zwar mit den muslimischen Naturwissenschaftlern und Ärzten des Mittelalters, aber was heute an wirklicher Wissenschaft aus dem muslimischen Teil der Welt kommt, ist kaum der Rede wert. Wissenschaft ist dort, was sie im Westen zuletzt im Mittelalter war: ancilla theologiae, die Magd der Theologie.
Da ist es kein Wunder, daß die meisten Muslime mit Kritik nicht umgehen können.