Wer mein Tagebuch schon länger liest, weiß, daß der Genosse Außenminister, Sergej Viktorowitsch Lawrow, mir ganz besonders ans Herz gewachsen ist. Er ist eine Art missing link zwischen Putin, der ja so hoch oben über allem schwebt, daß er fast gottgleich geworden ist, und dem gemeinen Volk. Lawrow ist Prophet und gleichzeitig die Stimme seines Herrn. Aber er hat auch durchaus sein eigenes Gepräge, was man schon an seiner finsteren Miene ablesen kann.
Jetzt hat er mit kühnen Worten in einen der größten Konflikte zwischen Deutschland und Rußland eingegriffen. Worum geht es?
Es geht um Lisa – „unser Mädchen Lisa“, wie der Genosse Lawrow es ausdrückt, denn Lisa lebt zwar in Berlin-Marzahn, aber weil es ein rußlanddeutsches Mädchen ist, gehört es natürlich in die Botmäßigkeit der russischen Weltenherrscher. Lisa also, 13 Jahre alt, war über 30 Stunden lang verschwunden, und als sie zu ihren Eltern zurückkam, erzählte sie von „südländisch“ aussehenden Männern, die sie vergewaltigt hätten. Bei den Vernehmungen durch die Polizei verwickelte sie sich immer mehr in Widersprüche, so daß die Polizei am Ende sicher war, daß es nie eine Vergewaltigung gegeben hat. Lisa soll zu den beiden Türken, den „südländischen“ Männern, schon vor der angeblichen Entführung sexuelle (einvernehmliche!) Kontakte gehabt haben.
Soweit die in solchen Dingen erfahrenen Polizisten. Aber die haben die Rechnung ohne den Genossen Lawrow gemacht, der (womöglich) inkognito in Marzahn war und alles durchs Schlüsselloch beobachtet hat. Dafür sprechen seine profunden Kenntnisse über das Geschehen: das Verschwinden des Mädchens sei von der deutschen Polizei „verheimlicht worden“, und zwar aus „irgendwelchen Gründen“. Es würde etwas „vertuscht“ von den deutschen Behörden.
Da gerät also ein pubertierendes Mädchen, das (so wie es aussieht) einfach nur ein kleines Abenteuer mit einer kleinen Lüge vor den Eltern verbergen wollte, unversehens in die Mühlen der Weltpolitik. Und wer hat dafür gesorgt? Mein Freund, der Genosse Lawrow!
Mit der stillschweigenden Billigung seines Chefs setzt er den gesamten Lügenapparat des neuen Sowjetrußland in Bewegung, läßt in Berlin sogenannte „Demonstranten“ aufmarschieren und hetzt die Welt gegen Deutschland auf.
Es mag sein, daß die beiden „südländischen Männer“ sich eines Mißbrauchs schuldig gemacht haben. Aber viel, viel schlimmer ist der Mißbrauch des Mädchens durch den Genossen Lawrow, der ohne jedes Schamgefühl seine ganze politische Macht einsetzt, um einer ungeliebten Regierung zu schaden. Dafür ist ihm jedes Mittel recht, auch der kaltblütige Mißbrauch eines Mädchens für sein billiges politisches Kalkül.
Tiefer, so habe ich manchmal in den letzten Monaten beim Nachdenken über Rußland gedacht, kann ein Land moralisch nicht mehr sinken.
Aber der Genosse Lawrow hat mir wieder einmal gezeigt: doch! es geht!
Nach unten ist in der Großen Sowjetunion moralisch immer noch ganz, ganz viel Platz!