Mann stößt in Berlin Frau vor die einfahrende S-Bahn – warum?

Ein Mann hat im U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz in Berlin eine 20jährige Frau, die er nicht kannte, vor die einfahrende U-Bahn gestoßen. Die junge Frau war auf der Stelle tot. Sofort beginnen da die Vermutungen: warum macht ein Mensch so etwas?

Und natürlich ist das – wie immer – die Stunde der Psychologen.

Vielleicht gibt es ja irgendwo auf der Welt kluge, einsichtsvolle, kompetente Psychologen. Die aber, die man nach jedem Ereignis dieser Art ins Fernsehen holt, haben meist außer trivialen Analysen (zu denen man auch mit dem gesunden Menschenverstand und ganz ohne Diplom hätte kommen können!) wenig zu bieten. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Vielleicht merkt da doch der eine oder andere, daß auch die Psychologie nur die Funktion erfüllt, Dinge „wegzuerklären“ – explaining away nennt man das im Englischen.

Der moderne Mensch, der (ob er es selbst weiß oder nicht) seine ganze geistige Existenz auf den Naturwissenschaften aufbaut, duldet nichts Unerklärliches, und wenn ihm dann doch einmal so etwas begegnet, stehen ihm Heerscharen von Wissenschaftlern zur Seite, die ihm dabei helfen, seine kleine, überschaubare Welt – auf Teufel komm raus! – zu bewahren.

Der Psychologe ist zufrieden damit, daß er eine Störung nach dem DSM-5 oder dem ICD-10 klassifizieren kann, dann ist die Welt für ihn in Ordnung. Der Astrophysiker bestimmt den Zeitpunkt des Urknalls fast auf den Tag genau – und fragt sich nur selten, was vor dem Urknall war. Alles, was nicht erklärt werden kann, ist für den modernen Menschen noch nicht erklärbar. Die Lösung aller Menschheitsrätsel ist für ihn nur eine Frage der Zeit.

Dabei kann der Mensch zurecht stolz darauf sein, was er in den letzten Jahrhunderten erklärbar gemacht hat, aber (und das ist ein ganz wichtiges Aber!): er hat die Grenzen der Naturwissenschaften nach und nach vergessen, und das, obwohl die Philosophie gerade darüber seit Jahrtausenden nachdenkt. Die eigenen Grenzen auch bei der alltäglichen Arbeit immer mit im Auge zu haben: das ist eigentlich eine selbstverständliche Pflicht jedes Wissenschaftlers, und es ist zugleich seine am häufigsten vernachlässigte Pflicht. Der Naturwissenschaftler blickt, statt den Diskurs mit ihnen zu suchen, auf Philosophie und Religion herab wie ein Erwachsener auf seine unmündigen Kinder. Daher rührt auch das merkwürdig Unreife, Unerwachsene bei vielen Wissenschaftlern.

Wie gut würde ihnen ein Gespräch auf Augenhöhe mit Religion und Philosophie tun!

Kehren wir zum Mord an der jungen Frau in Berlin zurück. Der Psychologe wäre damit zufrieden, wenn er die Tat schlüssig kategorisieren und klassifizieren könnte. Wenn ihm nun jemand entgegenhielte, daß das Böse eben doch in der Welt sei, würde er vermutlich nur mitleidig lächeln. Das Böse taucht nämlich weder im DSM-5 noch im ICD-10 auf, es klingt in den Ohren des modernen Menschen verdächtig nach Sünde und Theologie, nach Mittelalter und Aberglauben – und ist doch ein Bild, das vieles präziser beschreibt als die seichten, rationalistischen Erklärungsversuche der Wissenschaft.

So ist es zum Beispiel auch mit der Erklärung des Lebens: die Naturwissenschaften tun sich seit jeher schwer damit, seine Entstehung zu erklären. Die Bibel beschreibt den Vorgang in Genesis 2,7 so:

Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also war der Mensch eine lebendige Seele.

Das ist – man muß es dem modernen Menschen sagen – ein Bild, eine Metapher, aber es erscheint mir nicht nur schöner, sondern auch wahrer als die banalen Erkärungsversuche der Naturwissenschaften. Wir müssen nämlich, wenn wir der Wahrheit auf den Grund kommen wollen, aufhören, uns dem Diktat dieser (oft arroganten!) Wissenschaften zu beugen, die – wenn es zum Kern der Dinge kommt – oft nur dahinplappern wie ein Kind.

Es sind nicht nur die Geisteswissenschaften, die oft hoch über den Naturwissenschaften stehen, es sind vor allem ihre Gegenstände: ein Gedicht von Rilke, eine Oper von Verdi, eine Fabel, der König Lear von Shakespeare, ein Gleichnis aus dem Neuen Testament: sie alle können es mit jeder Relativitäts- und Urknalltheorie aufnehmen.

Und auch das Böse, meine Damen und Herren Psychologen, ist in der Welt (wenn auch nicht in den Klassifizierungen der Schulweisheit) – es ist in jedem Menschen, und das Leben des Menschen ist (auch!) ein immerwährender Kampf gegen diesen Dämon.

Oft gewinnt (wie in Berlin) das Böse.

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