Steinmeier – Der Leisetreter und der Völkermord

Es stimmt ja: der Begriff des Völkermords wird immer öfter und vielfach zu voreilig verwendet. Er ist zu einem Kampfbegriff geworden. Das ist gerade deshalb schade, weil dadurch die wirklichen Völkermorde in ihrer Furchtbarkeit relativiert werden.

Ein Ausrottungsfeldzug, bei dem es sich eindeutig um einen Völkermord gehandelt hat (also um den Versuch, ein ganzes Volk auszurotten), war der von langer Hand geplante und 1915 mit größter Brutalität durchgeführte Genozid an den Armeniern durch die osmanische Regierung. Es gibt keinen einzigen Historiker außerhalb der Türkei, der dem widersprechen würde. Aber es gibt in unserem Land Politiker, die aus Rücksicht auf den NATO-Partner Türkei (man könnte aber auch sagen: aus Feigheit) diese historisch vielfach belegte Tatsache nicht aussprechen. Dazu gehören leider auch die Regierung Merkel und der allseits beliebte Außenminister Steinmeier.

Steinmeier vermeidet im Zusammenhang mit den Armeniern den Begriff Völkermord wie der Teufel das Weihwasser. Dabei mag eine Rolle spielen, daß es neben dem türkischen auch ein deutsches Schuldeingeständnis geben müßte, denn das Kaiserreich, das im Krieg mit den Osmanen verbündet war, hat (obwohl es 1915 detaillierte Kenntnisse über die Vorgänge hatte!) nicht einmal den Versuch gemacht, die Greueltaten zu verhindern.

Im Gegenteil: der damalige Reichskanzler Bethmann Hollweg schrieb in einem Vermerk (hier nachzulesen):

Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.

Diese Mitschuld immerhin hat der Deutsche Bundestag im Jahr 2005 förmlich festgestellt. Die „unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches“ wurde in einer von allen Fraktionen gebilligten gemeinsamen Erlärung bedauert – freilich ohne von einem Völkermord zu reden: nur von „Vertreibungen und Massakern“ ist die Rede.

Und heute, zehn Jahre später, hört man vom deutschen Außenminister diesen unsäglichen Satz:

Verantwortung heißt eben, Verantwortlichkeit nicht auf einen einzigen Begriff zu reduzieren.

Selten, das muß ich gestehen, hat jemand seine eigene Leisetreterei, seine eigene Feigheit so verschwurbelt kaschieren wollen. Und was heißt eigentlich „reduzieren“? Wenn ich einen Mord Mord nenne (oder einen Außenminister Außenminister), dann stelle ich nur fest, was ist. Ich reduziere gar nichts!

Es müsse „über den Tag des Gedenkens hinausgedacht werden“, sagte Steinmeier, deshalb gehe man nicht „den einfachen Weg.“

Aber: eine Wahrheit aussprechen, die Dinge beim Namen nennen, das ist nun wirklich nicht „der einfache Weg“. Das hat auch Papst Franziskus erfahren müssen, der anders als Steinmeier von einem Völkermord gesprochen hat. Der großspurige Sultan im fernen Ankara hat ihn daraufhin unflätig beschimpft,  denn eine unabhängige Wahrheit gibt es für ihn nicht: wer auch immer die weiße Weste des Türkentums befleckt, bekommt seinen Zorn zu spüren.

Es sind in dieser Woche besonders die Kanzlerin und ihr Außenminister, die mit allen Mitteln versuchen, in der Stellungnahme des Bundestags das Wort „Völkermord“ zu verhindern. Viele Bundestagsabgeordnete von CDU und SPD sind darüber entsetzt und wollen sich als freigewählte Parlamentarier nicht von der Regierung vorschreiben lassen, wie sie sich am Freitag entscheiden werden. Aber sie sagen das nur hinter vorgehaltener Hand. Man darf gespannt sein.

Ein Argument gegen das Aussprechen des „V-Wortes“ ist besonders absurd: Deutschland solle sich aufgrund seiner eigenen Geschichte mit vorschnellen Urteilen über andere Völker zurückhalten. Das Gegenteil ist der Fall: gerade weil Deutschland an einem der schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts schuldhaft beteiligt war (und diese Schuld, wenn auch mit Verspätung und nicht immer mit der wünschenswerten Konsequenz, doch gründlich aufgearbeitet hat), ist es ganz besonders aufgerufen, in solchen Dingen klar und eindeutig zu reden.

Wir haben es (nicht immer ganz freiwillig!) gelernt, unsere Geschichte mit all in ihren Höhen und Tiefen zu akzeptieren. Diese schmerzhafte Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit steht der Türkei noch bevor.

PS:  Wer einen historischen Roman über den Völkermord an den Armeniern lesen möchte, dem empfehle ich Franz Werfels 1933 erschienenen Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“. Es ist einer der besten historischen Romane, die je geschrieben wurden, und man kann sich bei der Lektüre ganz wunderbar von dem Schund erholen, der heutzutage unter dem Label „historischer Roman“ oft verbreitet wird.

PS 2:  Gerade wird die Nachricht verbreitet, daß die Große Koalition den Entwurf geändert hat und für die osmanischen Greueltaten nun doch den Begriff „Völkermord“ verwendet. Das ist auf jeden Fall ein Sieg des Parlaments über die Exekutive – und eine schwere Niederlage für Merkel und Steinmeier. Aber keine Sorge: die beiden bleiben trotzdem ganz vorn in der Wählergunst, was (wie ich es gern ausdrücke) zu den großen Geheimnissen der Geschichte gehört.

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