Die Stückezertrümmerer des deutschen Theaters – frech wie Oskar

Den Deutschen Bühnenverein werden die meisten Menschen nicht einmal dem Namen nach kennen. Es ist die (als eingetragener Verein organisierte) Interessenvertretung der deutschen Theater und Opernhäuser.

Jetzt ist der Bühnenverein mit Forderungen an die Öffentichkeit getreten, über die man sich – gelinde gesagt – nur wundern kann.

Angefangen hat alles mit einer Inszenierung von Brechts Stück Baal am Münchner Residenztheater. Der Suhrkamp-Verlag, der  das Urheberrecht an dem Stück besitzt, wollte die Inszenierung von Frank Castorf verbieten lassen, weil Castorf ohne Absprache „umfänglich Fremdtexte verwendet“ habe. Castorf, das muß man wissen, hat den Beinamen „Stückezertrümmerer“: von den Stücken, die er inszeniert, bleibt oft nichts übrig. Auch im Fall Baal hat er nach Herzenslust fremde Texte hinzugefügt und, wie man lesen kann, von den Schauspielern lang und breit Szenen aus dem Film Apocalypse Now Redux nachspielen lassen. Auch das ist typisch für das Regietheater: statt daß man sich ganz auf den Schauspieler und das Wort konzentriert, so daß es im Theater, wenn alles gelingt, mucksmäuschenstill wird, findet sich der Zuschauer in einem Folterkeller von Bildern, Videos und Geräuschkulissen wieder. Nicht nur der Autor wird also von diesen Regisseuren im Grunde verachtet und kleingemacht, sondern das Wort selbst, das im multimedialen Brimborium zu Tode kommt.

Inzwischen haben sich die streitenden Parteien auf einen Vergleich geeinigt. Zweimal darf die Baal-Inszenierung noch gezeigt werden, dann ist Schluß. Für den Bühnenverein ist die Sache freilich noch nicht ausgestanden. Er fordert – praktisch – die Abschaffung des Urheberrechts an den deutschen Bühnen.

„Das kann so nicht weitergehen“, sagt sein Direktor Rolf Bolwin. Und er fährt fort (zitiert nach dem Feuilleton der F.A.Z. vom 21. Februar):

Der Rechtsstreit zeige, wie sehr das Urheberrecht mittlerweile die Freiheit der Kunst behindere. Aus Sicht des Bühnenvereins entspricht das Urheberrecht heutiger Aufführungspraxis in keiner Weise.

Ja, und? Wenn Urheberrecht und Aufführungspraxis nicht vereinbar sind, warum soll man dann das Urheberrecht abschaffen? Man kann ja auch die rechtswidrige Aufführungspraxis beenden!

Aber Bolwin wird noch dreister:

Es sei unrealistisch, von einem Regisseur zu verlangen, auf Fremdtexte in der Inszenierung eines Stückes zu verzichten, um einen Urheber wie Brecht zu schützen, der fast sechzig Jahre tot ist.

Das nervt ja auch wirklich: da ist der Brecht schon Jahrzehnte tot, und man darf seine Stücke immer noch nicht verhunzen, verfremden und mit den eigenen feuchten, pubertären Regisseursträumen verunstalten! Eine Frechheit ist das!

Er, der Brecht, ist doch nur der Autor – aber ich, denkt sich der Herr Regisseur, oder besser: ICH, oder, noch genauer:

ICH BIN DER REGISSEUR.

Und du bist nur ein kleines
(noch dazu totes) Schriftstellerlein!

Alle Stücke darf ich zertrümmern und bis zur Unkenntlichkeit verändern, von Sophokles über Shakespeare bis Lessing und Ibsen – und vor dem alten Brecht soll ich Halt machen?

Das wäre ja noch schöner.

Das alles geht dem Bühnenverein aber noch nicht weit genug. Sein Direktor entwirft deshalb mit wenigen Federstrichen eine kompakte Poetologie des Theaters:

Ziel der Aufführung eines seit Jahrzehnten existierenden Werkes müsse es sein, es mit der heutigen Sicht eines Regisseurs auf die Welt zu konfrontieren. Wenn es dazu zusätzlicher Texte bedürfe, sollten die Erben das durchs Urheberrecht nicht verhindern können. Das werde der vom Grundgesetz geschützten Freiheit der Kunst nicht gerecht.

Ich habe, das muß ich gestehen, selten eine so dreiste, unverfrorene Rechtfertigung des  Regietheaters gelesen – und eine dazu, die von einer so arroganten Verachtung für den Autor und seine Rechte zeugt.

Und das ist leider ein weiterer Grund, diese Art des Theaters auch in der Zukunft zu meiden wie die Pest.

Laßt uns deshalb, bis das Theater wieder zur Vernunft kommt, die Stücke einfach lesen! Dazu braucht man keinen Regisseur und keinen Bühnenverein. Man braucht nur ein bißchen Neugier, und vielleicht (aber das muß nicht unbedingt sein) ein Buch, aus dem wir mehr über den Autor und seine Zeit erfahren.

Das ist natürlich nur ein Notbehelf, denn ein Stück gehört nun einmal auf die Bühne. Aber so können wir wenigstens in diesem theatralischen winter of our discontent  mit Anstand überwintern.

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