Putin: „Heim ins Reich“ – oder: Wie sich die Wörter gleichen

Bitte 100 mal an die Tafel schreiben:

Putin ist nicht Hitler
Putin ist nicht Hitler
Putin ist nicht Hitler
Putin ist nicht Hitler
Putin ist nicht Hitler usw.

Aber – warum redet er dann wie Hitler? Und warum handelt er wie Hitler?

Fangen wir beim Handeln an.

Putin hat 2014 das Nachbarland Ukraine in einer verdeckten Operation überfallen und sich einen Teil davon gewaltsam einverleibt. Hitler hat sich 1938 durch Erpressung und schließlich mit militärischer Gewalt das Sudetenland einverleibt. Nuancen gibt es, in denen sich die Angriffe unterscheiden. Hitler ist ganz ungeniert an der Spitze der Wehrmacht ins Sudetenland marschiert und hat sich dort feiern lassen. Putin hat sich für eine verdeckte Operation entschieden: die russischen Soldaten kämpften ohne Hoheitszeichen, die Kennzeichen an den russichen Fahrzeugen wurden vorher entfernt. Eine solche Kriegslist hatte Hitler nicht nötig, aber das Ergebnis war in beiden Fällen gleich.

Interessant ist, wie sich die Rechtfertigungen der beiden Herren gleichen.

Die Formulierung „Heim ins Reich!“ war bei den Nazis schon in den 20er Jahren geläufig (hier nachzulesen). Sie meinte die Rückkehr Österreichs und des Sudetenlands ins deutsche „Reich“.

Hören wir, wie sich Putin in seiner eben gesendeten Neujahrsbotschaft des Überfalls auf die Ukraine rühmt:

Die „Heimkehr“ der Krim werde „für immer ein Meilenstein in der nationalen Geschichte bleiben“ … „Die Liebe zum eigenen Mutterland ist eines der mächtigsten und erbaulichsten Gefühle.“ Sie habe sich besonders in der „brüderlichen Unterstützung“ der Menschen auf der Krim gezeigt, als diese „entschieden, nach Hause zurückzukehren“. Dieses Ereignis werde „für immer eine sehr wichtige Epoche“ in der russischen Geschichte bleiben.

So wie also Hitler 1938 das Sudetenland „heim ins Reich“ holte, so freut sich jetzt Putin über die „Heimkehr“ der Krim. Für beide sind bestehende Grenzen und das Völkerrecht völlig nebensächlich, über beides trampeln sie mit den Stiefeln ihrer Armeen hinweg. Für beide, Hitler wie Putin, war es wichtiger, angebliche „Landsleute“ zu befreien und heimzuholen.

In einer Erläuterung zum NSDAP-Programm heißt es (nachzulesen in: Der Nationalsozialismus – Dokumente 1933-1945, hg. Walther Hofer):

Wir fordern nicht mehr und nicht weniger als … das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen auf ihre Angehörigkeit zum Mutterland.

Hitler selbst hat es in „Mein Kampf“ noch pointierter gesagt: „Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich“. Vor der „Heimkehr“ Österreichs schreibt er, er beabsichtige,

mit bewaffneten Kräften in Österreich einzurücken und dort … weitere Gewalttaten gegen die deutschgesinnte Bevölkerung zu unterbinden.

Über die Modalitäten des Einmarschs schreibt Hitler:

Das Verhalten der Truppe muß dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, daß wir keinen Krieg gegen ein Brudervolk führen wollen. Es liegt in unserem Interesse, daß das ganze Unternehmen ohne Anwendung von Gewalt in Form eines von der Bevölkerung begrüßten friedlichen Einmarsches vor sich geht.

Genauso redet Putin: nämlich völkisch. „Wir wollen gar keine Tschechen“, hat Hitler in seiner Rede vom 26. September 1938 gesagt. Und Putin will gar keine Ukrainer, er will nur Russen.

Das Mutterland allein bestimmt, wer zu ihm „heimkehren“ soll. Die „Liebe zum eigenen Mutterland“ – eines der „mächtigsten und erhabensten Gefühle“ – entscheidet letztlich, und dagegen haben weder Gesetze, Verträge noch das Völkerrecht irgendeine Bedeutung. „Wir verzichten auf keinen Deutschen in Sudetendeutschland“, schrieben die Nazis in ihr Programm, und so will auch Putin auf keinen Russen in der Ukraine verzichten. Nicht das Recht entscheidet, sondern das Blut, die Volkszugehörigkeit.

Damit haben sich beide, Hitler wie Putin, vom Völkerrecht verabschiedet.

Das Mutterland bestimmt, wer „nach Hause zurückkehren“ darf, und selbst wenn man (wie auf der Krim) eine „Abstimmung“ inszeniert, findet sie unter der einschüchternden Macht der Gewehrläufe statt.

Übrigens gibt es noch eine weitere Gemeinsamkeit: die gewaltsamen Eroberungen Hitlers wie Putins haben die beiden Herrscher im jeweiligen „Mutterland“ (und zum Teil auch in den „heimgekehrten“ Gebieten) nur noch populärer gemacht. Hitler ist im Triumphzug durch das Sudetenland gezogen, und Putin sonnt sich in einer geradezu maßlosen Popularität.

Aber – daran sollten wir uns erinnern – auf 1938 folgte 1941, und auch das russische Volk wird für seine Unterstützung seines Alleinherrschers einen hohen Preis zahlen.

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1 Antwort zu Putin: „Heim ins Reich“ – oder: Wie sich die Wörter gleichen

  1. Roland Pauli sagt:

    ganz meiner meinung

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