Der Mensch hat der Tierart, zu der er selbst gehört, den Artnamen „Homo sapiens“, also: vernunftbegabt oder weise gegeben. Das ist ein starkes Stück, eine nomenklatorische Vermessenheit ersten Ranges. Denn man kann zurecht fragen: wie würde etwa der Orang-Utan, der durch den weisen Menschen kurz vor seiner Ausrottung steht, seinen Peiniger nennen? Welches Attribut würde die Gelbbauchunke dem Menschen geben? Oder die Blattschneiderameise? Man könnte alle Tiere und Pflanzen der Erde fragen – und keine einzige, da bin ich sicher, würde den Menschen weise nennen. Klug ist er, aber doch nur auf eine sehr beschränkte Weise: er ist nur im Kleinen klug, im Großen und Ganzen aber ist er eine der dümmsten Spezies, die je die Erde bevölkert haben. Nur er sägt mit größter Begeisterung den Ast ab, auf dem er sitzt. Seine Selbstüberschätzung ist grenzenlos.
Und wie, so frage ich mich, würde die Mopsfledermaus den Menschen nennen?
Dieses kleine Tier wiegt nur zehn Gramm und steht auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten. Es heißt Barbastella barbastellus, aber es könnte genauso gut Barbastella sapiens heißen, denn es führt keine Kriege, es baut keine Atomkraftwerke, keine Straßen und Parkhäuser, es versiegelt den Boden nicht, und es macht sich die Welt nirgendwo untertan. Es bleibt, wie der Schuster, bescheiden bei seinen Leisten, ist zufrieden, wenn es an Waldrändern seine Nahrung fangen kann. Mit anderen Worten: die Mopsfledermaus könnte dem Menschen ein Vorbild sein.
Aber der weise Mensch sieht das anders. Er baut – angeblich um der Natur und des Klimas willen! – 200 Meter hohe Windkraftanlagen, die auch der Mopsfledermaus den Garaus machen. So geschieht es jetzt im schönen Spessart. In den Wäldern rund um Biebergemünd, Linsengericht und Flörsbachtal gibt es noch eine kleine Population der Mopsfledermaus. Noch – denn da, wo sie jetzt noch fliegt, sollen sich bald die Rotoren der Windkraftanlagen drehen (die „schönen Maschinen“ des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann), und die drehen sich so schnell, daß nicht einmal eine Fledermaus sie wahrnehmen kann. Sie wird von den Rotoren zerfetzt – wenn sie nicht schon vorher stirbt, denn sobald Fledermäuse in die Nähe solcher Windräder kommen, entsteht ein Unterdruck in ihrem Körper, und ihre Lungen platzen förmlich.
Den weisen Menschen interessiert das wenig. Der weise Mensch glaubt wirklich, daß seine Windkraftanlagen klimafreundlich, natürlich und wunderbar nachhaltig sind. Wenn der weise Mensch von Fledermauskadavern unter seinen klimafreundlichen Windrädern hört, zuckt er nur mit den Schultern. Dann argumentiert er wie ein US-General: das seien eben Kollateralschäden.
Wenn wir einmal die Pflanzen und Tiere unseres schönen Planeten fragen würden, was sie von der Weisheit des Homo sapiens halten, ihre Antworten wären wohl wenig freundlich in unseren Ohren. Deshalb fragen wir sie gar nicht erst. Das Epitheton sapiens schreiben wir nur uns selbst zu, obwohl fast alles Leben auf der Erde weiser ist, als wir selbst es sind.
Zumindest viel weniger schädlich.