Er gehörte zur alten Garde des deutschen Journalismus – allenfalls Gerd Ruge kann es unter den Lebenden noch mit ihm aufnehmen. Beide sind journalistisches Urgestein, sie haben ihre Arbeit noch in der Nachkriegszeit begonnen, und beide sind in ihrem Beruf mit jedem Lebensjahr besser geworden. Woran das liegt?
Auch an der Freiheit, die das Alter schenkt.
Gerade Journalisten sind ja oft sehr abhängig – von der Zeitung, für die sie arbeiten, oder von ihrem Sender. Oft ist eine bestimmte Meinung, eine journalistische Richtung vorgegeben. Nur wenigen gelingt es, ihre geistige Freiheit zu bewahren. Aber im Alter könnten sie – eigentlich! – alles sagen, was sie sagen wollen.
Trotzdem tun das nur wenige.
Peter Scholl-Latour hat sich diese Freiheit genommen. Gerade in den letzten Jahren hat er in den Talkshows völlig unverblümt geredet. So unverblümt, daß es bisweilen fast ein bißchen grob gewirkt hat („das ist doch Quatsch, was Sie da sagen!“), und natürlich war man auch nicht mit allem, was er seinen Gesprächspartnern an den Kopf geworfen hat, inhaltlich einverstanden. Aber wer von seinen Kollegen hatte eine solche journalistische Erfahrung wie er? Wer hat sie so knapp und präzise äußern können?
Scholl-Latour ist am Ende entschiedener, aber auch leiser geworden. Seine Antworten waren – anders als früher – oft kurz und lakonisch. Das hat man seit langem auch an unserem Altkanzler Helmut Schmidt beobachten können, der auf viele Fragen (zur Enttäuschung des jeweiligen Interviewers) knapp und biblisch nur noch mit Ja oder Nein antwortet.
Das Labern überlassen die Alten den Jungen – die haben es offenbar nötig.
Wird es Journalisten wie Ruge oder Scholl-Latour auch in der Zukunft geben? Viele meinen ja, daß sie einer aussterbenden Art angehören. Aber so pessimistisch bin ich gar nicht. Wenn man eine Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine liest, merkt man, was für ein journalistisches Niveau auch bei den Schreibern jüngeren und mittleren Alters herrscht. Und auch im Rundfunk und bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gibt es erstaunlich viele gute und seriöse Journalisten.
Die Talente sind also da – das Problem ist nur: man wuchert nicht mit dem Pfund, das man hat. Die meisten der Talente (zum Beispiel die Auslandskorrespondenten) versteckt man im Nachtprogramm, als ob man sich ihrer schäme. Dabei sollte man sich eher des Programms schämen, das man dem Zuschauer „zur besten Sendezeit“ anbietet. Da setzt neuerdings, gerade in den Dritten Programmen, ein Wettkampf um den schlechtesten Geschmack und die (in jeder Hinsicht) billigste Sendung ein.
Aber trotzdem: wir haben, gerade durch die öffentlich-rechtliche Struktur des Fernsehens, in Deutschland immer noch eine Fülle guter Journalisten. Die Aussichten, daß es unter ihnen auch immer einmal wieder einen Ruge oder einen Scholl-Latour geben wird, stehen also gar nicht so schlecht.