Die Türken haben schon immer den büyük lider, den starken Mann geliebt. Jetzt haben sie ihn gewählt.
Ob Frauen in der Öffentlichkeit noch laut lachen dürfen oder ob sie schamhaft zu Boden blicken müssen, wenn ein Mann in ihrer Nähe ist, das liegt jetzt formal nicht mehr in ihrer Hand. Ob Erdogan das weise Staatsoberhaupt geben oder (wie es sein theoretisches Recht ist) die gesamte Tagespolitik beherrschen und die Kabinettssitzungen leiten wird, auch diese Entscheidung haben sie mit ihren Wahlzetteln an Erdogan abgetreten.
„Gebt mir vier Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen“, hatte Hitler 1933 den Deutschen zugerufen. Jetzt ruft der alternde Erdogan, der seit vielen Jahren die Demokratie in der Türkei beschnitten und das Land in einen autoritären Staat verwandelt hat, eine „neue Ära“ aus.
Das verheißt nichts Gutes, denn Erdogan hat sich schon lange in die Reihe jener alten und monomanen Politiker eingereiht, deren Welt nur noch um sich selbst kreist. Sie alle mögen einmal ihre Verdienste gehabt haben, aber je älter sie werden, umso mehr richten sie ihr Land zugrunde: Mugabe in Simbabwe ist so einer, auch Zuma in Südafrika ist auf dem besten Wege dazu, und Nuri al-Maliki im Irak, dem nur sein Amt wichtig ist, während sein Land auseinanderfällt, ist geradezu der Prototyp dieser Gattung von Politikern.
Erdogan sagte nach dem Wahlsieg, er sei der „Präsident aller Türken“ – wer’s glaubt, wird selig. Hat nicht auch Mursi nach seiner Wahl gesagt, er sei der „Präsident aller Ägypter“? Das sind die üblichen Floskeln nach einer gewonnenen Wahl, im Rausch des Sieges.
Natürlich kennt niemand die Zukunft. Die Hoffnung höret nimmer auf – und das ist gut so. Aber der politische Verstand sagt mir, daß dieser Erdogan – wenn die Siegesfeiern vorbei sind – noch autoritärer und noch islamischer regieren wird als jetzt schon. Und er wird, wenn er einmal nicht mehr da ist, ein Land hinterlassen, das noch tiefer gespalten ist als heute schon. Ein Staatsmann, der aussöhnt und verbindet, wird der cholerische alte Mann nie werden.
Das Pfund, mit dem er wuchern kann, ist das Fehlen einer charismatischen Alternative. Daß der eher blasse Oppositionskandidat Ekmeleddin Ihsanoglu fast 39 % der Stimmen bekommen hat, zeigt aber, wie groß der Widerstand gegen Erdogan, vor allem in der städtischen Bevölkerung, ist. Und auch das oberste Verfassungsgericht, das in den letzten Jahren viel Mut bewiesen hat, ist dem starken Mann sicher ein Dorn im Auge.