Heute morgen hat Putin seine Truppen in Zentralrußland „in volle Gefechtsbereitschaft“ versetzt. Gleichzeitig hat er bestätigen lassen, daß die russischen Truppen an der ukrainischen Grenze verstärkt worden sind. Das bedeutet nichts Gutes.
Es ist aber auch ein Zeichen dafür, daß es um Putins geistige Gesundheit nicht gut bestellt ist. Welcher Politiker, der in unserem schönen Europa – genau hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs – eine Art Mobilmachung anordnet (denn um nichts anderes handelt es sich hier!) und einen unabhängigen Nachbarstaat seit Monaten immer stärker in seiner Existenz bedroht, kann bei Verstand sein? Putin ist es jedenfalls nicht. Er handelt immer mehr wie ein Revolverheld im Wilden Westen, der sich seinen als besonders männlich verstandenen Gefühlen hingibt – Rache, Stolz und Größenwahn. Sein Verhalten, und das ist der schlimmste Aspekt der Sache, ist mittlerweile völlig unberechenbar geworden: die Krim wollte er in Frieden lassen – ein paar Tage später war sie annektiert. In die Ukraine will er nicht einmarschieren, aber er sorgt dafür, daß die Drohung eines russischen Überfalls wie ein Damoklesschwert über dem Land hängt. Er läßt seine Hofschranzen und seine gutbezahlten Propagandisten in den Medien Greuelmärchen über die „Faschisten in Kiew“ verbreiten und baut (leider zurecht!) darauf, daß die große Mehrheit der Russen, die nie eine wirkliche Demokratie erlebt hat, das alles unbesehen glaubt. Das ist das Gefährliche an Putin: daß er inzwischen ein Alleinherrscher ist. Selbst die Generalsekretäre der alten KPdSU hatten bei aller Machtfülle noch ein Korrektiv durch ihre Partei. Putin aber kann schalten und walten, wie er will.
In einer solchen Lage ist es besonders wichtig, daß man ihm wenigstens von außen seine Grenzen zeigt. Das ist gar nicht so schwierig, wie es uns die Bedenkenträger und Pazifisten im Westen weismachen wollen, und es ist auch nicht sonderlich gefährlich. Vor allem aber ist es unabdingbar, denn hier geht es um einen Präzedenzfall: wenn einer wie Putin sich (wie ein gewöhnlicher Räuber!) einfach ein Stück vom Nachbarland einverleiben kann, dann kommen womöglich andere Staatenlenker auf ähnliche Ideen. Das muß unter allen Umständen verhindert werden. Die Grenzen in Europa müssen sakrosankt bleiben. Ändern darf man sie natürlich – aber nur in geduldigen Verhandlungen und im gegenseitigen Einvernehmen, nicht mit eingeschleusten, vermummten Milizen aus dem Lumpenproletariat.
Insofern hat Putin ein europäisches Tabu gebrochen. Er hat sich überhaupt nicht wie ein europäischer Politiker aufgeführt, ja es fällt mir schwer, ihn überhaupt noch als Europäer zu sehen. Seine derzeitige Politik jedenfalls speist sich nicht aus dem Gedankengut des guten Europas, sie ist ein Rückfall in die zynische Machtpolitik des 19. Jahrhunderts.
Die Demokratie, das kann man gar nicht oft genug sagen, ist ein mühsames, langwieriges Geschäft. Sie ist nichts für Hitzköpfe und schon gar nichts für Revolverhelden.
Hitzköpfe hatten wir schon genug in Europa, und sie haben uns immer nur Unglück gebracht.