Der türkische Ministerpräsident, der im Innern immer autoritärer und brutaler herrscht, soll am Donnerstag, dem Jahrestag der Eroberung von Konstantinopel, laut Welt (hier nachzulesen) folgendes gesagt haben:
Eroberung sei wichtig, und die Eroberung Istanbuls 1453 sei eine „Öffnung“ gewesen. Eroberung, so sagte er, sei nie Aggression, wenn sie von Muslimen ausgehe, sondern „Selbstverteidigung“ gegen „Unterdrückung“.
Wenn dieses Zitat wirklich stimmt, dann ist es das Unverschämteste und zugleich Dümmste, was man je von Erdogan gehört hat (und das war schon einiges).
Unverschämt, weil er damit die Geschichte bewußt und von Grund auf verfälscht, denn so wie der Islam schon in den ersten Jahrhunderten allein mit Feuer und Schwert verbreitet wurde, so war auch die Eroberung von Konstantinopel nichts anderes als eine ganz gewöhnliche Eroberung. Ihr folgten noch viele osmanische Raubzüge, die bis an den Rand Mitteleuropas heranreichten. Der ganze Balkan litt jahrhundertelang unter der osmanischen Herrschaft, die jede Entwicklung unmöglich machte und die ganze Halbinsel bis ins 20. Jahrhundert hinein in lähmende Lethargie versetzte. Manche Länder leiden noch heute darunter.
Dumm, ja geradezu absurd sind Erdogans Bemerkungen, weil sie mit einem Kunstgriff aus muslimischen Eroberungen per se Akte der Selbstverteidigung gegen „Unterdrückung“ machen. Wer um Himmels willen hat denn im 15. Jahrhundert die osmanischen Sultane „unterdrückt“, so daß sie sich „verteidigen“ mußten? Byzanz, dessen Reich schon vorher bis auf einen kleinen Rest zusammengeschmolzen war, bestimmt nicht.
Nein, es waren die Osmanen selbst, die mit ihren Eroberungszügen die Völker in Angst und Schrecken versetzten. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzte, vermutlich durch die lange und ungefährdete Herrschaft, eine Art satter Trägheit ein, die den unterdrückten Völkern auf dem Balkan die Gelegenheit bot, sich nach und nach von der osmanischen Herrschaft zu befreien. Die Griechen waren übrigens die ersten, denen es mit ein bißchen Hilfe durch die europäischen Großmächte gelang, zumindest auf einem kleinen Teil ihres heutigen Staatsgebiets die Türken niederzuringen und ein freies Griechenland auszurufen.
Was Erdogan sagt, ist also nichts anderes als eine haarsträubende Geschichtsklitterung: es ist die nachträgliche Rechtfertigung einer blutigen Eroberungspolitik. Erdogan will sich durch die Verfälschung der Vergangenheit selbst in die Tradition der als heldenhaft verklärten osmanischen Sultane stellen.
Ob er das freilich erreicht, wenn er mit einer Heermacht von 25.000 Polizisten und mehr als 50 Wasserwerfern über eine Schar von ein paar hundert Demonstranten herfällt, wollen wir an dieser Stelle nicht weiter kommentieren.