Die evangelische Kirche und die Kraft des Zentrifugalen

Wer gedacht hat, daß sich das Zeitalter des Zentrifugalen in der evangelischen Kirche dem Ende entgegenneigen würde, sieht sich inzwischen eines Schlechteren belehrt. Daß man das Zentrum über der Peripherie vernachlässigt: das ist immer noch typisch evangelisch.

Was will ich damit sagen? Es ist im Grunde ganz einfach: alles das, was Kirche in ihrem Wesen ausmacht, was ins innerste Herz des einzelnen Menschen und der Welt zielt, also Evangelium und Verkündigung, die Fragen von Leben, Tod und Auferstehung, oder, um es in einem einzigen Wort zusammenzufassen: die Frage nach Gott (der in den Predigten immer öfter nur noch als der gute Gott erscheint und so verniedlicht, bagatellisiert und ein bißchen verkitscht wird), der harte Kern der Religion also, das Zentrum der Kirche, das alles tritt immer mehr in den Hintergrund. Man spricht von einer Wohlfühlkirche, und leider ist das nicht falsch. Wenn die Kirche nur noch über die Ränder spricht und darüber das Zentrum vernachlässigt, dann ist es etwas faul in ihr.

Protestanten, vor allem die Pfarrerinnen, haben viele Themen, die ihnen, wie es scheint, ans Herz gewachsen sind: Sozialarbeit, Feminismus, Asylpolitik usw. (sogar Schminkkurse gibt es schon). Alles schön und gut – aber dazu brauche ich keine Kirche. Im Mittelpunkt müssen doch die harten Themen stehen, nicht der weiche Rand. Wann erlebt man schon einmal eine Predigt, bei der man das Wort tua res agitur wirklich spürt? Statt dessen gibt es ein bißchen Lebensberatung, ein bißchen moralische Mahnung, ein bißchen Erbauung, und man hat nicht selten das Gefühl, daß der Pfarrer (meistens ist es ja eine Pfarrerin) meint, er habe Mummelgreise vor sich.

Kann man mit solchen Predigten die Menschen wirklich anrühren? Nie und nimmer.

Aber die evangelische Kirche macht munter so weiter. Jetzt hat sie in Hannover – man höre und staune – ein „Studienzentrum für Genderfragen“ eröffnet. Offenbar kann es nicht genug Feminismus, nicht genug Gender in der Kirche geben. Reicht es denn nicht, daß man die grauenhafte „Bibel in gerechter Sprache“ mitfinanziert hat?

Die evangelische Kirche ist heutzutage das letzte Refugium, in dem die Vertreter der Gendertheorie noch unbeschränkt schalten und walten dürfen. Überall sonst müssen sie sich kritischen Fragen stellen, aber hier genießen sie bis in die höchsten Stellen hinein Narrenfreiheit. Das liegt auch daran, daß es immer mehr Pfarrerinnen gibt, und daß offenbar viele von ihnen aus einem bestimmten feministischen Milieu kommen. Sie können ihre Neigungen in der Kirche ausleben – und sie machen die Genderfrage, also ein kirchliches Randthema, immer öfter zum Mittelpunkt ihrer Verkündigung.

Die Eröffnung des Studienzentrums für Genderfragen wurde natürlich gehörig gefeiert. Die Studienleiterin für Wissenschaftliche Theologie sagte bei einem Festmahl (hier nachzulesen):

Geschlechterbewusste Theologie steht für eine Kultur der Wertschätzung in unserer Kirche, die Unterschiede hoch achtet und gleichzeitig darauf schaut, was uns verbindet.

Ein „Atlas zur Gleichstellung in der Evangelischen Kirche“ sei in Vorbereitung. Das Zentrum werde außerdem, so die Drohung,

genderrelevante Modelle, Erfahrungen und Praxisbeispiele aus Kirche und Gesellschaft entsprechend aufbereiten, damit sie in der Kirche genutzt werden können.

Der Vorsitzende des Rates der EKD, Nikolaus Schneider, ist natürlich voll des Lobes über alles Genderige, aber er weiß auch, daß nicht alle Gläubigen (er nennt sie „Adressaten“) davon begeistert sind. Deshalb gibt es demnächst eine Personal- und Finanzspritze:

Eine besondere Herausforderung stellt sich mit der Aufgabe, die erarbeiteten Inhalte an die Adressaten zu bringen und die dafür geeignete Kommunikationsform zu finden. Damit diese Aufgabe gut gelingen kann, hat der Rat beschlossen, im Bereich Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit noch zusätzliche Personalressourcen zur Verfügung zu stellen.

Und so tanzt die evangelische Kirche weiter auf den Rändern – und hinterläßt eine Brache genau dort, wo sorgfältiger Ackerbau am wichtigsten wäre. Die ganze Gender-Mode ist nämlich, um mit dem Prediger im Buch Kohelet zu sprechen – nur Windhauch.

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