Es gehört zu einem freien, demokratischen Land, daß selbst die Dümmsten ihre Meinung frei äußern dürfen. Wer sie daran hindern möchte, ist nicht etwa klug – er hat, ganz im Gegenteil, nicht verstanden, was Demokratie ist.
Demokratie ist nicht die Herrschaft des Wahren, Schönen, Guten. Die Experimente im Lauf der Geschichte, in denen Philosophen, Dichter und andere Schöngeister Staat machen wollten, endeten meist katastrophal. Demokratie ist viel banaler: es ist ein lebendiger Prozeß der Auseinandersetzung zwischen Meinungen und Interessen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dieser Prozeß funktioniert aber nur, wenn eine gewisse Bildung vorhanden ist – und eine bürgerliche Tradition. Wenn sich die Menschen nicht als Bürger fühlen, nutzen alle Wahlen, Parlamente und Abstimmungen rein gar nichts. Bürger wird man aber nicht durch einen Beschluß oder einen revolutionären Akt. Es ist das Ende einer langen Entwicklung. Auch bei uns in Europa hat es Jahrzehnte, oft sogar Jahrhunderte gedauert, bis sich in den einzelnen Staaten bürgerliche Gesellschaften entwickelt haben.
Demokratische Fassaden leistet sich heute fast jedes Land (man denke nur an Afrika), aber erst das Vorhandensein einer Mehrheit von Bürgern, die sich für ihr Land auch verantwortlich fühlen, macht eine echte Demokratie aus.
Deshalb ist das immer stärkere Auftreten von sog. „Aktivisten“, wie man sie gerade in unserem Land beobachtet, eine bedrohliche Entwicklung. Aktivisten sind keine Bürger. Sie übernehmen auch keine Verantwortung für ihr Land. Sie sind Getriebene einer Ideologie, und wer nicht für sie ist, der ist gegen sie – und wird niedergebrüllt und zum Schweigen gebracht. Aktivisten haben kein Interesse an irgendeiner Art von Diskurs. Sie diskutieren nicht mit dem Gegner, sie schreien ihn nieder. Aktivisten kennen auch keine Selbstzweifel, weil sie sich immer und überall im Besitz der Wahrheit wähnen.
Gegner der Aktivisten kann fast jeder sein: Sarrazin, die AfD, Steinmeier, vermeintliche Homophobe.
Ein Beispiel. Da veranstaltet ein Fachverband des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Kassel einen Kongreß zum Thema „Sexualethik und Seelsorge“. Es kommt das Gerücht auf, daß zwei der Referenten Homosexualität nicht als „natürliche Veranlagung“, sondern als behandlungsbedürftige Störung betrachten. Die Veranstalter dementieren, aber das hilft ihnen nicht: die Demonstranten sind schon im Anmarsch.
Sie wollen nicht diskutieren – sie wissen ja schon alles! Aber selbst wenn sie recht hätten und die Referenten die absurdesten Theorien vortragen würden: so etwas muß man in einer Demokratie ertragen. Ein Bürger erträgt das auch, ein Aktivist nicht. Der Aktivist maßt sich das Recht an, allein zu entscheiden, wer reden darf und wer nicht.
Deshalb ist der Aktivist nicht, wie er vielleicht glaubt, ein Förderer der Demokratie, er ist, wenn man ihn gewähren läßt, ihr Totengräber.