In der Brüsseler Politikerriege, die eher vom Typ Oettinger geprägt ist als von klugen Politikern, gehört Martin Schulz zu den sympathischeren, jedenfalls zu den klügeren Menschen. Aber wählbar ist er für mich jetzt nicht mehr.
Ich gehöre zu der großen Zahl von Unentschlossenen. Ich weiß auch jetzt, eine gute Woche vor den Europawahlen, noch immer nicht, wen ich wählen soll. Ich wünsche mir nämlich ein Europa der Tradition, des Geistes, der Kultur. Ich will nicht das primitive Europa des Geldes, wie es unsere Kanzlerin immer beschwört: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Da wird alles weggeschnitten, was wirklich gut ist an diesem Europa: seine Vielfalt, seine ganz verschiedenen kulturellen und geschichtlichen Traditionen, die nach so vielen Kriegen endlich zu einem friedlichen Wettstreit gefunden haben. Das letzte, was Europa braucht, ist staatliche Einheit über die Köpfe der Menschen hinweg. Im Gegenteil! Jedes Land soll seine Souveränität, seine Freiheit uneingeschränkt behalten.
Ist das ein Hindernis zu einem friedlichen Europa? Überhaupt nicht! Die Menschen sind glücklicher, zufriedener, wenn alle Instanzen, die über ihr Schicksal entscheiden, in ihrer Nähe liegen. So soll es bleiben – oder, wo man diese Nähe, zum Beispiel durch die europäischen Gerichtshöfe, geschmälert hat, wieder werden. Wir brauchen hier keine Zentrale, die alles lenkt und leitet. Man kann friedlich und gut nachbarschaftlich miteinander leben ohne zentrale Instanzen: das hat Europa nach dem Krieg bewiesen.
Aber welche Partei teilt eine solche Auffassung? Am ehesten noch die Alternative für Deutschland (AfD). Sie setzt sich – zurecht! – für eine „Rückgabe von Kompetenzen an die einzelnen Länder“ ein, „für mehr direkte Demokratie und eine stärkere Beteiligung der Bürger an wichtigen Entscheidungen“ und „für ein Vetorecht der nationalen Parlamente gegen Entwürfe von Gesetzgebungsakten der EU-Organe“. Das wäre ein guter Anfang.
Auch andere Programmpunkte sprechen mir aus dem Herzen: die strikte Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei etwa, oder die Ablehnung des ökologisch und für den Schutz der Verbraucher geradezu verheerenden Freihandelsabkommens mit den USA. Auch die Forderung, daß nur in Deutschland lebende Kinder Kindergeld erhalten dürfen, ist richtig und eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Daß es immer noch kein Einwanderungsrecht nach kanadischem oder australischem Vorbild gibt, wo die Immigration nach den Bedürfnissen des Einwanderungslandes kanalisiert wird, ist skandalös, wird aber nur von der AfD thematisiert. Auch die Rückkehr „zu den bewährten Diplom-, Staatsexamens- und Magisterstudiengängen“ ist überfällig. Eine besondere Freude bereitet mir, daß im AfD-Programm dem lächerlichen gender mainstreaming eine eindeutige Abfuhr erteilt wird.
Daß im übrigen Aktivisten und Autonome, also die linken Betonköpfe, nicht mit Argumenten, sondern mit brutaler Gewalt gegen jeden Wahlkampfauftritt der AfD vorgehen, zeigt, was Andersdenkende in einem von ihnen beherrschten Land zu erwarten hätten.
Aber: wie heißt es so schön? Lasset die Heiden toben!
Und Martin Schulz? Er hat sich jetzt, kurz vor den Wahlen, in einer Fernsehdebatte gegen Kreuze im öffentlichen Raum ausgesprochen. Und er hat, ein wenig nebulös, hinzugefügt, es gebe in Europa „das Risiko einer sehr konservativen Bewegung zurück“. Dagegen müsse man im Sinne der Anti-Diskriminierung kämpfen.
Welcher Teufel ihn da geritten hat, weiß ich nicht. Sitzt er jetzt etwa auch im Beirat der unsäglichen Giordano-Bruno-Stiftung? Will er aus Deutschland ein zweites Frankreich mit seinem starren und geschichtsvergessenen Laizismus machen? Taktisch klug ist ein solches Statement kurz vor den Wahlen nicht, also war es ihm wohl ein Herzensanliegen. Wenn das aber so ist, dann mögen ihn andere wählen.
Ich nicht.