In einem Gastbeitrag in der F.A.Z. (hier nachzulesen) hat Ingrid Matthäus-Maier, und zwar ausdrücklich im Namen der „humanistischen Organisationen“, für die sie spricht, gegen ein Verbot der Sterbehilfe argumentiert.
Nun ist dieses Thema kontrovers – und wird es bleiben, so lange es Menschen gibt. Nicht jeder hat das Glück, am Ende mit einem „gnädigen Tod“ aus dem Leben zu gehen. Was tun, wenn die Schmerzen unerträglich werden? Da muß man zuallererst, finde ich, die Palliativmedizin, die in Deutschland viele Jahre lang sehr restriktiv gehandhabt wurde, stärker als bisher in die Behandlung einbinden. Aber natürlich kann auch sie nicht alles gut und sanft machen. Bleibt dann nur noch der Freitod?
Was mich am meisten an dem Beitrag von Matthäus-Maier stört, ist sein Titel: „Mein Ende gehört mir“. Er erinnert (natürlich beabsichtigt!) an die Kampagnen gegen die Abtreibung, die in den 70er Jahren, von Alice Schwarzer und ihrer Emma angefeuert, unter dem dummen Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ liefen.
Der Bauch vielleicht – aber auch das Kind, das in ihm heranwächst? „Gehört“ das auch mir? Darf ich es „wegmachen“ (so nannte man das damals), wenn es mir im Weg steht? Ich will die existentiellen (und auch die strafrechtlichen) Fragen, die damals viele Frauen erschüttert haben, nicht verniedlichen. Aber Geburt und Tod: das sind nun einmal ganz elementare, tief in die menschliche Existenz hinabreichende Vorgänge, und mir wird es, je älter ich werde, immer unerträglicher, wenn man mit ihnen leichtfertig und in einem plakativen, sloganhaften Ton umgeht.
„Mein Bauch gehört mir“ – dieses Wort treibt die Säkularität und den Individualismus in unserer Gesellschaft auf die Spitze. Über Leben und Tod kann die werdende Mutter ganz allein entscheiden. „Mein Bauch gehört mir!“ Da hat ihr niemand dreinzureden – nicht der liebe Gott, nicht die Ethik – und schon gar nicht der Staatsanwalt. Dieses dumme Wort macht die großen, elementaren Dinge rund um Zeugung, Schwangerschaft und den Beginn des Lebens klein und billig. In vielen osteuropäischen Ländern wurde die Abtreibung zur normalen Verhütungsmethode: der kleine Eingriff danach. Viele Frauen haben erst Jahre nach der Abtreibung gemerkt, daß die Welt so einfach nicht ist, wie es damals in der Emma gestanden hat. Sie haben oft lange unter ihrer Entscheidung gelitten.
Jetzt also: „Mein Ende gehört mir“. Wieder so ein dummes Wort, und wieder ist es geprägt von der Arroganz des Individuums, das selbstherrlich, ja allmächtig das Schicksal selbst in die Hand nehmen will. So wie die Mutter autonom über Leben und Tod des in ihr heranwachsenden Kindes entscheiden darf, so soll der Suizident (so nennt ihn die Juristin Matthäus-Maier tatsächlich) am Ende auch bestimmen können, daß ein Arzt ihm beim Selbstmord behilflich ist. In einer idealen Welt mit lauter freien, mündigen und guten Menschen mag man über ein solches Vorgehen diskutieren – aber so ist die Welt nicht, und so sind auch die Menschen nicht. Da mögen Erben sein, denen das Sterben nicht schnell genug geht, oder Angehörige, denen alles zuviel wird. Wer soll da wirklich entscheiden, ob ein solcher Wunsch aus freien Stücken kommt? Der Arzt? Er soll heilen oder die Schmerzen stillen: das kann und darf er. Töten darf er nicht.
Was Frau Matthäus-Maier schreibt, ist sicher nicht leichtfertig dahergesagt. Sie bezieht sich auch auf das Schicksal ihres Vaters, der vor seinem Tod lange gelitten hat. Und doch merkt man, daß hinter allem auch ein bestimmtes Weltbild steht: eine Vergötterung des freien, niemandem mehr verantwortlichen Individuums in einer gottlosen Welt ohne jede religio, also ohne Bindung an eine Instanz außerhalb seiner selbst.
Matthäus-Maier spricht von „Menschenrechtsorganisationen“, denen sie ihre Stimme leiht. Das ist ein großes Wort. Wenn man diese Gruppen aber näher betrachtet, so wie sie in dem Beitrag aufgeführt werden:
die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS),
die Humanistische Union,
der Humanistische Verband Deutschlands
und die Giordano-Bruno-Stiftung,
dann sieht man, daß es sich hier in erster Linie um atheistische Kampforganisationen handelt, deren Hauptzweck nicht der Humanismus ist (was soll das überhaupt sein?), sondern der Kampf gegen die Religion. Die Humanistische Union nennt sich selbst „antiklerikal und antikonfessionell“. Der Humanistische Verband Deutschlands will eine „organisierte nichtreligiöse Alternative zu den christlichen Kirchen oder anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ sein. Die Giordano-Bruno-Stiftung schließlich, deren Beirat Frau Matthäus-Maier angehört, ist eine besonders seichte atheistische Vereinigung, die leider an die großen Diskussionen zwischen Christentum und Atheismus in keiner Weise anschließen kann. Giordano Bruno, dessen Namen die Stiftung vereinnahmt, kann sich dagegen nicht mehr wehren.
Für geradezu unverschämt halte ich übrigens die Bezeichnung „humanistisch“, mit denen solche Gruppen suggerieren, daß Menschlichkeit immer nur gegen die Religion durchgesetzt werden kann. So ein schlichtes Weltbild kennt man sonst nur noch aus der guten alten DDR, die viel über ihren „Humanismus“ schwadroniert hat.