Putins „Revanchismus“ – eine ironische Wende der Geschichte

Ältere Menschen werden sich noch daran erinnern: eines der häufigsten Schimpfwörter Sowjetrußlands gegen den Westen war vor dem Zusammenbruch des Ostblocks das Wort „Revanchismus“. Damit wurde belegt, wer (angeblich) die Nachkriegsgrenzen verändern wollte: die imperialistischen USA, die Vertriebenenverbände usw.

Die „bestehenden Grenzen“ – das war eines der größten Tabus der sozialistischen Länder. Wer an ihnen rüttelte, auf den fuhr sofort ein Blitzstrahl hernieder.

Umso pikanter ist es, daß jetzt ausgerechnet Putin, für den das Ende der „glorreichen Sowjetunion“ eine der schlimmsten Katastrophen des 20. Jahrhunderts war, darangeht, mit Waffengewalt Grenzen zu verschieben und sich ganze Regionen einzuverleiben.

Ein Treppenwitz der Weltgeschichte.

Man hat, glaube ich, den Anteil der Vernunft an Putins politischem Handeln fast immer überschätzt. Dabei hätten schon seine pompösen Auftritte im Kreml, an denen auch Gerhard Schröder auf peinliche Weise mitgewirkt hat, den Westen eines besseren belehren müssen. Hier hat ein Mann die Macht an sich gerissen, der unberechenbar ist: ein Spieler, ein von seiner übersteigerten Männlichkeit Getriebener, ein Schauspieler, der sich überall in Szene setzt. Er ist eigentlich in allem das Gegenteil eines verantwortungsvollen Staatsmanns: ein Anti-Gorbatschow schlechthin.

Es ist gut möglich, daß er auch sich selbst undurchschaubar ist. Das macht ihn so gefährlich. Der Westen hat das lange nicht begriffen, man hat darauf gebaut, daß er am Ende doch rational handelt. Jetzt hat er der Welt gezeigt, daß ihm an rationalem, verantwortungsvollem Handeln überhaupt nicht gelegen ist. Wenn man dann noch bedenkt, daß er im eigenen Land kein Korrektiv mehr hat (die Opposition ist praktisch ausgeschaltet), dann bleibt, wenn man seine Eskapaden stoppen will, nur noch das Ausland übrig.

Wir müssen – leider! – dafür sorgen, daß Putins Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Das unseren europäischen Politikern beizubringen, die am liebsten die ganze Welt nur noch mit Sammethandschuhen anfassen möchten, wird nicht leicht sein. Man muß nämlich den Leisetretern à la Steinmeier genauso entschlossen entgegentreten wie den Usern im Internet, die sich aus unbegreiflichen Gründen (wahrscheinlich aus einem blinden Antiamerikanismus heraus) um Putin scharen.

Natürlich ist hartnäckige Diplomatie wichtig, natürlich muß man mit Putin reden (man muß ja als Politiker mit noch viel abscheulicheren Staatsmännern sprechen). Aber man muß auch wissen, mit wem man es zu tun hat. Wenn man einem Mann wie Putin keine Grenzen setzt, wird das seine Allmachtsphantasien nur beflügeln.

Das wäre fatal.

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