Wenn ein Planet dem Stern, den er umkreist, zu nahe kommt, wird er von dessen Masse angezogen – und vernichtet. Wenn ein unabhängiger Staat das Unglück hat, an das große Rußland zu grenzen, ist es um seine Freiheit geschehen. Seine Unabhängigkeit, seine Grenzen, sein Selbstbestimmungsrecht – das alles ist dann keinen Pfifferling mehr wert.
Das erlebt im Moment die Ukraine. Rußland zieht immer mehr Truppen an seinen Grenzen zusammen – 30.000 sollen es jetzt schon sein, viele davon ohne Hoheitszeichen, also gewöhnliche „Banditen“, wie man sie von der Krim kennt.
Putin, der im Innern fast jeden Widerstand gegen seine Herrschaft ausgemerzt hat, setzt also die Vernichtungspolitik, mit der er – natürlich immer unter dem Deckmäntelchen formaler Demokratie! – die Opposition zum Schweigen gebracht hat, außerhalb seiner Grenzen fort. Sein Größenwahn wächst von Tag zu Tag, und einer der Gründe dafür ist die Existenz der europäischen Putin-Versteher, auf die sich der neue Zar im Kreml immer verlassen kann.
Es gibt im Lager der Putin-Versteher – ganz grob gesprochen – drei Gruppen.
Zur ersten Gruppe, die mir noch am sympathischsten ist, gehören die Freunde Rußlands. Sie lieben das Land und die russischen Menschen – nicht unbedingt Putin, aber weil Putin Russe ist, schließen sie auch ihn in ihre Liebe mit ein. Sie verharmlosen und verkennen Putin, aber aus einer ehrlichen Liebe heraus. Viele gehören dazu, die sich als Korrespondenten lange in Rußland aufgehalten haben, Gerd Ruge etwa, oder Gabriele Krone-Schmalz, aber auch einige Altbundeskanzler.
Zur zweiten Gruppe, die schon gefährlicher ist, gehören die Naiven, wie etwa der immer noch friedensbewegte Erhard Eppler, der (kürzlich bei Anne Will) kaum an sich halten konnte, als ihn Arnulf Baring mit der Wirklichkeit konfrontierte. Die Naiven machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt. Sie nehmen Putin seine „ehrlichen Absichten“ ab, während sie dem Westen (erstaunlicherweise!) immerfort nur Böses unterstellen. Sie haben eine gespaltene Sensibilität: dem Westen trauen sie alle Schandtaten zu, aber Putin, ach, der arme Putin – „er konnte ja nicht anders handeln“.
Die dritte Gruppe: das sind die Profiteure, die weiter mit Putin gute Geschäfte machen wollen. Zwei wunderbare Exemplare von ihnen hat man kürzlich im deutschen Fernsehen bestaunen können. Zum Beispiel die Ehrenpräsidentin der deutsch-russischen Außenhandelskammer, Andrea von Knoop, eine langjährige Lobbyistin der deutschen Wirtschaft in Moskau, die sich bei Anne Will so wunderbar naiv gestellt hat, daß einem fast die Tränen gekommen sind. Oder der Siemens-Chef Joe Kaeser, der sich gemütlich mit Putin zusammensetzt, während USA und EU gemeinsam den russischen Amoklauf gegen die Ukraine stoppen wollen. Von „kurzfristigen Turbulenzen“ lasse man sich nicht stören, sagte Kaeser im Interview mit dem heute-journal.
„Kurzfristige Turbulenzen“!
Das ist die Welt aus der Sicht eines internationalen Konzerns, dessen Profitgier keine ethischen Korrekturen mehr hat.
Aber sie alle, ob sie nun naiv oder geldhungrig sind, sind freiwillig zu Putins „nützlichen Idioten“ geworden.