Putin – ein allseits beliebter Aggressor?

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VTsIOM sind nach der russischen Aggression gegen die Ukraine 67,8% der Russen mit der Arbeit ihres Präsidenten zufrieden – ein rekordverdächtiger Wert. Der Guardian hat die Zahlen veröffentlicht, aber schon ein Blick in die englischsprachige Wikipedia zeigt: dieses Institut ist keineswegs unabhängig.

The state-owned and government-run institution is accountable to the Ministry of Labour and Social Affairs.

Aber selbst wenn die Zahlen stimmen: haben sie irgendeine Aussagekraft? Kann die Mehrheit aus einem Verbrecher ein tugendhaftes Lämmlein machen? Kann die Mehrheit das Völkerrecht außer Kraft setzen? Auch Hitler ist durch eine Wahlmehrheit an die Macht gekommen, und er ist nach dem Buchstaben der Weimarer Verfassung zum Reichskanzler ernannt worden. Aber (und dieses Aber ist entscheidend): er hat seine demokratisch erfolgte Ernenung dazu benutzt, in kürzester Zeit alle demokratischen Institutionen und Rechte zu beseitigen und eine Gewaltherrschaft zu errichten. Die Wahlen waren nur ein Sprungbrett.

Genauso hat es Putin gemacht: seit er an der Macht ist, hat er hinter der demokratischen Fassade alle noch halbwegs demokratischen Institutionen abgeschafft, die Presse bedroht und eingeschüchtert, das Recht auf Demonstration durch Strafandrohungen ausgehebelt und sich willfährige Richter herangezogen. Ausländische Nichtregierungsorganisationen, die der immer verängstigteren Opposition zu Hilfe kommen wollten, mußten sich als „Agenten“ in ein Register eintragen lassen und wurden (und werden immer noch!) in jeder Weise an ihrer Arbeit behindert. Die gesamte Presse ist heute regierungstreu, und gerade die Intervention in der Ukraine hat gezeigt, daß praktisch alle Journalisten Rußlands zu Propagandisten Putins geworden sind. Die Zustände gleichen aufs Haar denen unter Breschnew.

Wenn wirklich zwei Drittel der Russen hinter Putins völkerrechtswidriger Aggression stehen (was man nicht ausschließen kann), dann werden sie dafür einen hohen Preis zahlen. Nicht heute oder morgen – da sonnen sie sich im Glanz ihres Sieges: daß sie es dem Westen einmal so richtig gezeigt haben. Sie haben vor allem den vom russischen Gas abhängigen Europäern eine Lektion erteilt – glauben sie. Aber, wie gesagt: einem Rattenfänger wie Putin zu folgen und seinen Verbrechen gegen das Völkerrecht zu applaudieren, das wird sich rächen.

Es wird ein bißchen dauern, und so lange mögen sie noch das eine oder andere Gläschen Wodka auf ihren Sieg trinken. Denn die Gerechtigkeit setzt sich eher langsam durch. Wenn ein Mörder sein Messer zückt und zusticht, dann ist das eine Sache von Minuten. Die Aufklärung des Mordes aber, die langwierigen Ermittlungen, die Anberaumung des Prozesses, die Verhandlung bis zum Urteil, also das ganze Mahlwerk der Gerechtigkeit: das braucht seine Zeit. Es dauert manchmal viel zu lange. Aber am Ende wird ein Urteil stehen, auch für Putin. Und wer sich noch ein bißchen Redlichkeit bewahrt hat unter seinen Anhängern, der wird sich – hoffentlich – schämen sein Leben lang.

Und schämen sollten sich auch Menschen, die – wie etwa Harald Kujat und Georg Restle gestern bei Beckmann – vor lauter Pragmatismus und Ausgewogenheit das ukrainische Volk dem „Frieden“ opfern würden. Wenn ich diese Putin-Versteher höre („aber man muß doch die Sache auch einmal aus Putins Sicht betrachten“), die bedenklich die Stirn runzeln, wenn es um härtere Reaktionen (und gegen Sanktionen) gegen Putin geht, dann wird mir schlicht übel. „Ja, aber wir sind doch vom russischen Gas abhängig!“, sagen sie. „Und ändern können wir doch sowieso nichts!“

Rebecca Harms hat, mit leiser Stimme, aber sehr entschieden, immer wieder nachgefragt: sollen wir also die Ukraine, die so tapfer für Europa gestritten und sogar ihren korrupten Präsidenten davongejagt hat, im Stich lassen, damit unsere Wirtschaftsbeziehungen mit Putin nicht leiden? Opfern wir für russisches Gas das Volk der Ukraine? Hat dieses Volk nicht mehr das Recht, selbst über sein Schicksal zu entscheiden? Darauf haben Kujat und Restle keine Antwort gehabt. Beide haben nur ihre professionelle Überheblichkeit und Arroganz gezeigt.

Wie angenehm dagegen die in Berlin lebende Schriftstellerin Katja Petrowskaja! Sie hat oft ihr Gesicht in den Händen vergraben, als ob sie die altklugen Bemerkungen der Profi-Talker nicht mehr ertragen könne. Und es war ja auch eine (wie man heute sagt) völlig asymmetrische Diskussion, denn ihren frischen und klugen Einwürfen, auch ihrer schönen Ironie hatten die anderen eben nur platte journalistische Routine entgegenzusetzen.

Sonst gar nichts.

PS: Nur als kleines Beispiel für die völlige Unterwerfung von Recht, Moral und Anstand zeige ich einen kleinen Ausschnitt aus einem Kommentar des Tagesspiegel.

Sanktionen der EU sind nicht nur deshalb falsch, weil sich die Europäer damit ins eigene Fleisch schneiden und schlimmstenfalls diplomatisch doch nichts erreichen würden. Harte wirtschaftliche Strafaktionen sind auch gefährlich, weil sie eine neue Ost-West-Spaltung heraufbeschwören könnten … Sicher, das Verhältnis zwischen der EU und Russland hat sich seit dem Georgien-Krieg erheblich abgekühlt. Aber wenn die EU nun die Keule wirtschaftlicher Sanktionen herausholen sollte, dann droht der Gesprächsfaden zwischen Brüssel und Moskau ganz zu reißen.

Wie heißt es so schön bei Brecht: erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

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