Was gerade in der Ukraine passiert, hat es in Europa lange nicht mehr gegeben: da entschließt sich ein Volk, seinen Blutsauger loszuwerden und läßt sich auch von Scharfschützen keine Angst mehr einjagen. Im Gegenteil: die hemmungslose Gewalt des Regimes hat die Entschlossenheit der Ukrainer, ihr korruptes Regime loszuwerden, nur noch beflügelt.
Inzwischen ist Janukowitsch in den Osten des Landes geflüchtet. In Lemberg und Kiew hat das Volk praktisch die Regierungsgewalt übernommen, das Parlament ist, fast über Nacht, zu einem revolutionären Parlament geworden und hat Janukowitsch abgesetzt. Die Vertreter des Volkes sitzen jetzt an den Schaltstellen der Macht, Julia Timoschenko, die ärgste Widersacherin des Präsidenten, ist frei. Die Polizei ist geschlossen zur neuen Macht übergelaufen.
Die „Vereinbarung“ zwischen Janukowitsch und den drei europäischen Außenministern ist damit in gewisser Weise schon wieder obsolet geworden. War sie darum überflüssig? Ganz und gar nicht! Die Hartnäckigkeit, mit der Steinmeier, Fabius und Sikorski den immer ratloser wirkenden Janukowitsch bedrängt haben, verdient größte Anerkennung. Und es ist auch bezeichnend, daß nicht irgendein EU-Funktionär das erreicht hat, sondern drei Außenminister, die in eigener Verantwortung die schwere Mission auf sich genommen haben. Europa, das zeigt sich auch hier wieder, lebt eben nicht durch seine bürokratischen Organe, sondern allein durch die Kultur und Traditionen (und den Mut!) seiner Vaterländer. Ein Europa der Vaterländer im friedlichen Austausch und im kulturellen Miteinander – das ist das Europa, das ich mir wünsche. Die EU kann mir, mit Verlaub, den Buckel herunterrutschen.
Was Steinmeier und seine Kollegen erreicht haben, hat die Flucht des Präsidenten und die Machtergreifung des Volkes im Westen der Ukraine erst möglich gemacht. Die Menschen auf dem Maidan, die Klitschko und die anderen deswegen ausgebuht haben, werden das, glaube ich, verstehen, sobald die erste Enttäuschung gewichen ist. Nicht auszudenken, was dieser Präsident noch an Unheil angerichtet hätte, wäre er nicht durch den Mut des ukrainischen Volkes und die Überzeugungsarbeit der europäischen Außenminister in die Schranken gewiesen worden.
Gewonnen ist freilich noch nichts. Putin und sein Geheimdienst werden alles tun, um die Ukraine wieder zu einem Vasallen von Mütterchen Rußland zu machen. Es hängt jetzt viel vom Geschick der europäischen Staaten und von der Klugheit der Ukrainer ab.
Drücken wir dem Land die Daumen!