Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Oder doch nicht?
Eigentlich ist es ja für unseren Rechtsstaat ein gutes Zeichen, wenn ein Bundespräsident vor Gericht genauso behandelt wird wie jeder andere Mensch auch. Und doch: ich habe ein ungutes Gefühl, wenn ich sehe, wie er jetzt vor Gericht steht und um den letzten Rest seiner Ehre kämpft.
Das Gefühl, daß an diesem Verfahren – es geht um genau 753,90 Euro (!) – etwas nicht in Ordnung ist, verstärkt sich noch, wenn man sich daran erinnert, daß Wulff das Opfer nicht nur seines eigenen (unbestreitbaren) Fehlverhaltens geworden ist, sondern auch einer Art von Großwildjagd, wie sie in Deutschland immer beliebter wird. Man hetzt ein Wild, bis es erlegt ist. Dabei geht es längst nicht mehr um die Gerechtigkeit, gegen die ja niemand etwas haben kann, sondern – jedenfalls habe ich diesen Eindruck – mehr um die Lust am Jagen selbst. Das ist vielfach belegbar – etwa auch durch die Hetzjagd auf tatsächliche oder vermeintliche Plagiatssünder, an der sich inzwischen ganze Meuten beteiligen. Und so wie jugendliche Gewalttäter neuerdings ihre Opfer halbtot prügeln, wenn sie schon am Boden liegen, so lassen auch diese Großwildjäger nicht locker.
Wulff hat durch sein Fehlverhalten und durch seine dumme Reaktion auf die öffentlichen Vorwürfe ohnehin schon fast alles verloren: sein Amt, seinen guten Ruf, am Ende auch seine Frau, die sich von ihm getrennt hat. Ein bißchen Mitleid mit ihm, finde ich, wäre angebracht.
Wieweit sein Verhalten strafrechtlich relevant ist, wird das Gericht entscheiden. Aber es gibt doch auch – das weiß jeder Jurist, und das sagt uns auch die Lebenserfahrung – den Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit. Dazu muß man die „Causa Wulff“ mit anderen Delikten vergleichen, die nie vor Gericht kommen. Was ist etwa die „Vorteilsannahme“ von lächerlichen 753,90 Euro gegen gegen die Investitionsbetrügerei von Banken auf der ganzen Welt, die das Geld ihrer Kunden veruntreut haben – und dann auch noch aus Steuermitteln gerettet werden? Wann kommen die vielen Kundenberater vor Gericht, die den Bankkunden hochriskante Papiere angedreht haben, ohne sie über die Risiken aufzuklären? Ganz zu schweigen von Tennisspielern und anderen Prominenten, die ihr Geld vor dem deutschen Fiskus in Monaco oder sonstwo in Sicherheit bringen und uns alle dadurch, wenn man die Beträge summiert, um Milliardensummen bringen.
Recht muß Recht bleiben, ja. Aber wenn straflos davonkommt, wer den Betrug möglichst geschickt und im großen Stil betreibt, während ein Gericht wegen 753,90 Euro gleich 22 Verhandlungstage anberaumt, dann ist etwas faul.
Die Meute, die Wulff gehetzt hat, wird zufrieden sein. Wer noch ein bißchen Gerechtigkeitsgefühl besitzt, ist es nicht.