Wer schon sein ganzes Leben lang die Wahlwerbespots der Parteien verfolgt hat, gibt sich kaum noch der Illusion hin, daß solche Werbung einmal sprachlich und gestalterisch über das Niveau von Waschmittel- und Zahncreme-Werbung hinausgehen könnte. Selbst intelligente Politiker – die gibt es! – lassen sich von Imageberatern und Werbeagenturen zu Auftritten nötigen, die sie an der Grenze zur Debilität erscheinen lassen.
Ich habe in der vergangenen Woche zufällig den Wahlspot mit unserer Kanzlerin gesehen. „Es gibt Momente, da steht viel auf dem Spiel“ – so beginnt er. Und während Merkel ihre Leistungen preist, fährt und schwenkt die Kamera unaufhörlich hin und her, und das peinliche Eigenlob der Kanzlerin und die kitschige Kameraführung machen aus diesen 90 Sekunden – ja, was eigentlich? Eine unfreiwillige Satire?
„Oft betreten wir auch Neuland“, sagt Merkel treuherzig, und daß sie ihre Entscheidungen „für unser Land, für die Menschen in Deutschland“ trifft. Sie blickt sinnend auf eine in Dunst gehüllte Industrielandschaft, und die Kamera zeigt in Großaufnahme ihre verschränkten Hände. „Das Richtige ist, was am Ende den Menschen hilft.“Und wieder kreist die Kamera, zeigt die Kanzlerin von vorn, von der Seite, geht ganz nah an ihr Gesicht. „Das haben wir gemeinsam geschafft.“ Und dann wieder ihr Kopf in Großaufnahme, und ein paar Sekunden lang sieht man sie mit gefalteten Händen stumm und andächtig in die Ferne blicken.
Das alles ist so dick aufgetragen, daß es weh tut.
Schaut nur her, wie schön und gut alles ist, schaut, wie ich unermüdlich für mein Land und seine Bürgerinnen und Bürger arbeite! Das soll der Wertbespot suggerieren, und zwar nicht erst am Ende, sondern in jeder Sekunde, wie mit dem Holzhammer wird einem eingetrichtert:
Schön und gut! Schön und gut! Schön und gut! Das haben wir gemeinsam geschafft! Was am Ende den Menschen hilft! Deutschland! Für die Bürgerinnen und Bürger! Alles, alles ist gut! Ich bin ja da! Ich arbeite unermüdlich! Für Deutschland! Für die Bürgerinnen und Bürger!
Ach, soviel Schleim ist möglich in 90 Sekunden! Soviel Weihrauch, soviel Biederkeit, soviel Deutschland. Hat sie das nötig? Wer hat ihr, um Himmels willen, zu einem solchen Spot geraten?
Und: wie erfrischend dagegen ist Steinbrücks Stinkefinger! Es sieht gerade so aus, als sei er auf den biedermeierlichen Werbespot der Kanzlerin gemünzt, als sei er ein humorvolles Verdikt über Merkels fast unerträgliche Einschleimereien.
Steinbrück wird nicht Kanzler werden, aber daß er gegen die Humorlosigkeit, die dumpfe Biederkeit der Regierungsparteien endlich offensiv wird, war überfällig. Er hätte viel früher damit anfangen sollen.