Im Regionalteil der gestrigen F.A.Z. findet sich eine reich bebilderte Seite über den hessischen Teil der deutschen Fachwerkstraße. Man sieht die schönen alten Häuser, und es kommt sofort ein wohliges Gefühl in einem auf.
Warum ist das so?
Ich erinnere mich noch gut an einen Fernsehbeitrag des wunderbaren Dieter Wieland, der in einem seiner klugen und erhellenden Beiträge in der Reihe „Bauen und Bewahren“ des Bayerischen Rundfunks über „Das Fenster“ eben diesen Unterschied herausgearbeitet hat: auf der einen Seite die seit den 60er Jahren als modern geltenden neuen Bauformen (Bungalows mit Flachdächern usw.) mit ihren riesigen, ungegliederten Glasflächen, auf der anderen Seite ältere Bauformen mit durchgängig gegliederten, meist geviertelten Fenstern. Fast jeder Mensch, der noch keinen ideologisch deformierten Blick auf die Architektur hat, wird das gegliederte Fenster vorziehen. Es hat eine natürliche Schönheit, die von dem dummen Big is beautiful noch nicht verdorben ist.
Ich habe nach dem Krieg mit meinen Eltern in einer Sozialwohnung gelebt, die damals selbstverständlich noch geviertelte Sprossenfenster aus Holz hatte. Da war der Trend, alles müsse hell und freundlich sein, noch nicht aufgekommen. Aber es war gemütlich!
Daß man in einem riesigen Wohnzimmer hinter einer riesigen Glasscheibe wohnt, als sei jeder Gegensatz von innen und außen aufgehoben, war damals noch undenkbar. Dann wurde es erst denkbar – und schließlich auch Realität. Der Trend geht bis heute ungebrochen weiter, die Glasflächen können uns gar nicht groß genug sein. Lichtdurchflutet sollen die Räume sein, aber macht das einen Raum auch (um dieses gute alte deutsche Wort noch einmal zu verwenden) wirklich gemütlich? Oder wollen wir es zuhause gar nicht mehr gemütlich haben? Wenn ich mir so manche Wohnung ansehe, die aus großflächigen, grellweißen Wänden und sonst nur aus Leder, Stahl und Glas besteht, bekomme ich Zweifel daran. Statt auf seine innere Stimme zu hören, hört man auf den Trend.
Eine Wohnung, das behaupte ich gegen alle modernen Präferenzen, ist in ihrer Kernfunktion immer noch das, was sie seit der Steinzeit war: eine Höhle. Sie muß, wenn der Mensch wirklich in ihr glücklich sein will, Schutz und Geborgenheit geben – deshalb darf sie nicht zu groß sein. Wohnzimmer, die mittleren Tanzsälen gleichen, mögen von Hochglanzzeitschriften gepriesen und propagiert werden, aber wirklich wohnen kann man in ihnen nicht. Ja, sie sind in allem geradezu das Gegenteil einer Höhle: statt den Raum auf allen Seiten zu begrenzen, lösen sie Innen und Außen auf, man lebt wie auf dem Präsentierteller.
Es wird hier die Tendenz zum immer Größeren sichtbar, die unsere ganze Gesellschaft und sogar die politische Gestaltung durchdringt. Big is beautiful heißt es deshalb, oder: think big! Alles soll immer größer werden, Unternehmen werden zu immer größeren Konzernen zusammengefaßt, und auch die Europäische Union wird bis zur völligen Handlungsunfähigkeit erweitert.
Dabei weiß man doch schon lange, daß der Mensch im kleinen und im großen vor allem Überschaubarkeit braucht.
Er will kein Rädchen in einem großen Uhrwerk sein, und er will auch in seiner Wohnung nicht leben wie in einem Museum oder einem Kunstwerk.
Beides macht ihn nur krank.