Die Selbstgerechten sind unter uns

Wieder einmal haben die Gerechten ihre Stimme erhoben und Schlimmes aufgedeckt: „Bedeutende Namen aus Wissenschaft, Kunst, Politik und Medien“ haben die ermittelnden Redakteure des stern im Mitgliederarchiv der NSDAP gefunden:

Nach Recherchen des stern wurden unter anderen Ex-Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, Hilmar Hoffmann, langjähriger Chef des Goethe-Instituts, der Politikwissenschaftler Iring Fetscher, der Kinderbuchautor James Krüß und der Schriftsteller Erich Loest als NSDAP-Mitglieder geführt. Alle wurden zwischen 1922 und 1927 geboren und traten den Unterlagen zufolge als 17- bzw. 18-Jährige in Adolf Hitlers Partei ein.

Natürlich haben die ermittelnden Journalisten die Täter sofort zur Rede gestellt – das ist ja das Schöne am Beruf des Enthüllungsjournalisten: man ist Ermittler, Ankläger und Richter in einer Person! Das kostet man so richtig aus.

Aber man ist auch großzügig. Schließlich weiß man (und auch die stern-Leser wissen es!), daß die Jahrgänge „zwischen 1922 und 1927“ zu den bedauernswertesten überhaupt gehören: sie haben fast ihre ganze Kindheit und Jugend in einem totalitären System zugebracht, sie waren – wenn sie nicht das Glück eines kritischen Elternhauses hatten – von Anfang an der geschickten Manipulation durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Wie gesagt: das weiß man beim stern (und auch bei der Welt, die neuerdings in dieselbe Kerbe haut), deshalb verfeinert man die Anklage. Nicht daß sie damals der Ideologie zum Opfer gefallen sind, wird kritisiert,  da gibt man sich jovial und verständnisvoll, sondern: daß sie sich nicht öffentlich zu ihrer Schuld bekannt haben.

Aber, liebe stern-Ermittler, niemand, wirklich niemand muß sich ein Schild mit der Aufschrift „Ich war Mitglied der NSDAP“ umhängen und so durchs weitere Leben gehen. Niemand muß irgendetwas öffentlich bekennen, nicht einmal, wenn später eine Enthüllung durch einen Enthüllungsjournalisten droht.

Es ist immer sehr individuell, wie man mit der eigenen Schuld umgeht (wenn es denn überhaupt eine war). Je mehr man sich einer Sache schämt, umso weniger wird man darüber reden. Schuld ist etwas sehr Persönliches, und ein öffentliches Bekenntnis kann doch – um Himmels willen – nicht eingefordert werden! Da mag einer noch so sehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen: was er sagt und was er verschweigt, das hat allein er zu entscheiden. Basta!

Was mich viel mehr stört als jede Mitgliedschaft in NSDAP oder SED, das ist die gnadenlose, erbarmungslose (und erbärmliche!) Selbstgerechtigkeit, die moralische Arroganz, die von dieser Art Journalisten ausgeht. Nicht einen Moment lang denken sie darüber nach, wie sie selbst sich in einer vergleichbaren Situation verhalten hätten. Sie sind alle ohne Fehl und Tadel – und werfen voller Selbstgerechtigkeit den ersten Stein.

Am liebsten wäre ihnen vermutlich, die Betroffenen würden ein öffentliches Bekenntnis ablegen – vielleicht mit einem stern-Titel: „Wir sind eingetreten!“

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