Mein erstes und letztes Wort zur „Affäre Brüderle“

Deutschland wird immer mehr zu einer Art Absurdistan, zu einem Land, in dem alles, aber auch wirklich alles zu einer Affäre aufgeblasen wird. Jetzt also Brüderle.

Ich hätte mir noch vor ein paar Wochen niemals vorstellen können, daß mir Brüderle leid tut. Aber es ist geschehen: er tut mir leid. Wirklich. Der Stern-Artikel – ein Jahr nach dem „Vorfall“ – hat etwas so Hinterhältiges, daß ich gar nicht anders kann.

Überall ist auf einmal von Sexismus die Rede, und jeder bringt jetzt mit diesem Wort Brüderle in Verbindung. Und warum? Weil er vor einem Jahr um Mitternacht an einer Hotelbar zu einer Journalistin einen dummen Satz gesagt hat. Hat die Frau Himmelreich noch keinen dummen Satz gesagt (oder geschrieben)? Jede Ausgabe des Stern ist voll von strunzdummen Sätzen – von sprachlicher und journalistischer Qualität ganz zu schweigen.

Die Journalistin sei „bedrängt worden“, konnte man lesen. Und ganz Deutschland fordert eine Entschuldigung von Brüderle. Man traut seinen Augen und Ohren nicht, wenn man das alles liest. Offenbar besteht ganz Deutschland aus Engeln, aus Kavalieren, die selbst um Mitternacht noch das rechte Wort finden, und nur einer – Rainer Brüderle – ist ein Teufel. Ich könnte nicht einmal sagen, was mir mehr zuwider ist: dieser wohlkalkulierte Artikel im Stern mit seinem leicht durchschaubaren Timing, der einen Politiker (und nicht seine Politik!) moralisch beschädigen will – oder die entsetzten, vor soviel mitternächtlichem Sexismus geradezu schockierten Deutschen.

Wir haben, möchte ich da in Abwandlung eines bekannten Zitats sagen, einen Abgrund von Heuchelei im Land.

Ich verstehe nicht, warum eine 29jährige Frau, noch dazu eine Journalistin, nicht in der Lage sein sollte, auf einen dummen und völlig mißglückten Flirtversuch angemessen zu reagieren. Sie hätte ihm ein paar saftige Sätze an den Kopf werfen und dann gehen können. Und danach, von mir aus, gleich in der nächsten Ausgabe des Stern darüber schreiben.

Alles klingt jetzt so, als sei sie – ein Opfer! – Brüderle damals an der Bar auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen. Das ist doch absurd! Hier hat niemand ein Machtverhältnis mißbraucht – und wenn, dann war es sicher nicht Brüderle, denn Politiker sind von der Gunst der Journalisten viel abhängiger als Journalisten von der Zuwendung durch die Politik.

Und gerade das ist das eigentlich Schlimme an dieser hochgespielten „Affäre“: wenn schon jeder dumme Satz, jede billige Anmache zur Staatsaffäre aufgebauscht wird, verliert man nämlich den Blick auf die wirklichen Fälle, da wo ein Abhängigkeitsverhältnis mißbraucht oder eine Frau körperlich bedrängt wird.

Nichts davon war bei Brüderle und Himmelreich der Fall.

Dieser Beitrag wurde unter Sonstiges veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert