Nein, ich bin kein Vegetarier, und ich werde auch keiner mehr werden. Ich habe oft über diese Frage nachgedacht, und ich habe mich am Ende gegen das fleischlose Dasein entschieden. Ich respektiere jeden, der sich für eine vegetarische Ernährung entschieden hat, aber ich möchte auch selbst genauso respektiert werden, wenn ich mich dagegen entscheide.
Leider sind Vegetarier, besonders aber Veganer oft von einem Missionierungseifer beseelt, der die Grenze zum Fundamentalismus weit überschreitet. Selbst der Hinweis, daß der Mensch genetisch ein Allesfresser sei, löst bei ihnen heftige Reaktionen hervor. Da werden biologische, moralische, gesundheitliche und klimatologische Aspekte so fest miteinander verschnürt, daß am Fleisch- und Fischverzicht kein Weg mehr vorbeiführt. Im Vordergrund steht fast immer die Moral, und es ist leider eine Moral, die sich wie ein bösartiges Gewebe in den Körper hineinfrißt und erst zufrieden ist, wenn auch der letzte Mensch auf Fleisch verzichtet. Das ist schon merkwürdig: denn wenn ich mich aus moralischen Gründen für ein vegetarisches Leben entschieden habe, könnte ich doch eigentlich glücklich und zufrieden sein – ich habe eine richtige Entscheidung getroffen, ich habe die Moral auf meiner Seite, und den Tieren und dem Klima geht es besser dadurch.
Aber woher rührt dann diese Aggressivität gegen die „Fleischfresser“? Woher kommen in allen Foren im Internet diese haßerfüllten Kommentare gegen Andersdenkende? Und woher kommen die lebhaften Diskussionen über die vegane Ernährung von Hunden und Katzen? Das alles ist das Gegenteil des römischen nil nimis (frei übersetzt: nichts übertreiben), es ist der Versuch, die eigenen Vorstellungen von der Welt allen übrigen Menschen (und sogar den Tieren!) aufzuzwingen, ob sie wollen oder nicht. Das scheint übrigens in der menschlichen Geschichte ein immer wiederkehrendes Stereotyp zu sein: von der Französischen Revolution bis zum Sozialismus, alle hatten sie – natürlich! – die Wahrheit auf ihrer Seite, und wehe, sie hatten dann auch noch die praktische Möglichkeit, ihre Wahrheit anderen aufzuoktroyieren.
Am Beispiel der vegan ernährten Hunde und Stubentiger sieht man aber auch, wohin der moralische Wahn führen kann. Für die eigene Ernährungsentscheidung werden auch biologische Gründe angeführt, aber wenn es dann aber um die eigene Katze geht, dominiert oft die Moral vollständig über die Biologie.
Vegetarier treffen also nicht nur eine Entscheidung für sich selbst: mit einem Gestus von fürsorglicher Diktatur wollen sie offenbar nicht eher ruhen, bis der letzte „Fleischfresser“ aufgegeben hat. Der Vorsitzende des Vegetarierbundes, Sebastian Zösch, hat dafür einen schönen Vergleich gefunden:
Es gibt natürlich immer Leute, die abblocken. Ich meine, das war bei der Einführung des Frauenwahlrechts so, und das wird auch bei der zunehmenden Abschaffung des Fleisches so sein.
Für Zösch geht es also um die „Abschaffung des Fleisches“ überhaupt, nicht um eine individuelle Lebensentscheidung. Und weil es sich bei den Vegetariern zu einem sehr großen Teil um junge Frauen handelt, hat er den Vergleich mit dem Frauenwahlrecht natürlich mit Bedacht gewählt.
Nur wer Vegetarier ist, kann auch ein guter Demokrat sein!
Überall sind wir heutzutage von fürsorglichen Verboten umstellt: wir dürfen nicht mehr rauchen, wir sollen nur noch Ökostrom benutzen, wir müssen am Abend jedes Tages darüber nachdenken, ob wir ihn klimaneutral zugebracht haben, wir sollen gesund und verantwortungsvoll essen, wir dürfen höchstens ein Glas Wein am Tag trinken, und selbstverständlich dürfen wir nicht heimlich eine von diesen alten Glühbirnen importieren (und wenn, dann nur mit einem schlechten Gewissen).
„Ich könnte heulen“, schreibt eine junge Veganerin in einem Forum. Sie sucht nämlich nach „veganen Schuhen“, aber die sind ihr alle zu klobig. Sie könne doch, wird ihr empfohlen, klobige vegane Schuhe kaufen und selbst aufhübschen, z.B. mit Holzperlen und veganer Farbe.
Ein anderer jobbt an einer Tankstelle – und plötzlich fährt es ihm in den Sinn: was tue ich da eigentlich? „Ich verkaufe nähmlich auch Nicht Vegane Produkte, Leichensemmel, Tabak“, schreibt er. „Jetzt steh ich in einen Zwiespalt.“ Gottlob arbeitet er auch an einem „Antitierbenuzungshof“ (sic!) mit, so daß er moralisch wenigstens ein bißchen entlastet wird. Die „mit totem Tier belegten Brötchen“ habe er ja auch nicht selbst produziert, so wird er getröstet.
Wieder ein anderer ist Gast in einer Familie, die Leichenteile ißt. „Die sind Fleischesser“, schreibt er pikiert. Viel Hoffnung können ihm die anderen Veganer nicht machen, mit solchen Monstern, die Fleisch essen, muß man halt leben.
Und der Dünger im eigenen Garten? Da hat jemand einen tollen veganen Einfall: „Man könnte eigentlich auch problemlos mit menschlichen Exkrementen düngen. Aber das wird als eklig empfunden.“ Ach, wirklich?
Hat es eine solche Generation schon einmal gegeben? Ich kann mich nicht erinnern.
Die moralische Diktatur, so scheint es, erobert immer neue Felder, und die jungen Moralistinnen und Moralisten werden immer feindseliger, wenn sich jemand ihrer unbarmherzigen Fürsorge entgegenstellt.
Ich für mein Teil bin freilich fest entschlossen, mich keiner Diktatur zu beugen, auch wenn sie mit ihren duftenden Exkrementen noch so attraktiv sein mag.