Astrid Lindgren hat sich ein Leben lang erfolgreich dagegen gewehrt, aber kaum war sie tot, haben ihre Erben klein beigegeben. Auch Otfried Preußler hat sich immer gegen die Verfälschung seiner Romane gewehrt – jetzt, im Alter von 89 Jahren, hat er den Kampf aufgegeben: er ist damit einverstanden, daß Wörter wie „Neger“ oder „Zigeuner“ aus seinen Büchern getilgt werden (hier nachzulesen).
Soll man sich darüber freuen? Nein, das wäre ja noch schöner.
Ideologen – korrekt müßte es natürlich heißen: Ideologinnen und Ideologen oder, noch grausamer, IdeologInnen! – haben schon seit ein paar Jahrzehnten die Sprache als ihren liebsten Kriegsschauplatz entdeckt. Es finden regelrechte Razzien statt, und die Sprache, die sich nicht wehren kann, wird aufs gründlichste polizeilich durchsucht. Jeder kennt die dummen Wortbildungen, die daraus entstanden sind: „Studierendenhaus“ etwa oder „Landsfrau“ oder die „Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener“ (und so absurde Machwerke wie die „Bibel in gerechter Sprache“). Ist die Welt dadurch besser oder gerechter geworden? Die Antwort kann sich jeder selbst geben.
Die Zensur hat eine lange Geschichte, und es hat neben der politischen immer auch eine moralische Zensur gegeben. Für den Dauphin, den jungen Thronfolger, hat man am französischen Hof seit dem 17. Jahhundert die antiken Werke von allen Stellen gereinigt, die moralisch anstößig waren – daher kommt der lateinische Ausdruck ad usum Delphini („zum Gebrauch durch den Dauphin“). Von da zieht sich eine Linie über das oft prüde 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart. In den USA werden in manchen Gegenden noch heute klassische Bücher wie Tom Sawyer oder Huckleberry Finn auf den Index gesetzt oder durch Eingriffe in den Text entstellt.
Jetzt also auch bei uns.
Aber wo soll das enden? Werden jetzt auch die Märchen der Brüder Grimm gereinigt? Es ist gut möglich. Klaus Willberg vom Thienemann-Verlag droht ganz offen:
Wir werden alle unsere Klassiker durchforsten.
Alle (von wem eigentlich?) beanstandeten Wörter würden ganz gestrichen.
Es sei notwendig, sagt er,
Bücher an den sprachlichen und politischen Wandel anzupassen. „Nur so bleiben sie zeitlos.“
Das ist, mit Verlaub, grober Unfug – und es ist umso bedenklicher, wenn ein Verlagsvertreter so etwas sagt. Zeitlos, lieber Herr Willberg, bleiben diese Bücher, weil es wunderbar erzählte Geschichten sind, nicht weil Sie mit der Schere an ihnen herumschnipseln und – ad usum infantium – einzelne Wörter herausschneiden.
Als ob es auf einzelne Wörter ankäme! Es kommt auf den Zusammenhang an, in dem diese Wörter stehen, auf die Grundaussage der Geschichte, auf die poetische Kraft ihrer Bilder – und natürlich auf den Autor. Es ist eben nicht dasselbe, ob das Wort „Zigeuner“ bei Preußler, Lindgren oder Enid Blyton vorkommt, oder ob es von Neonazis gegrölt wird. Noch in den 60er Jahren hat Gerd Ruge in seinen Amerikareportagen ganz selbstverständlich von „Negerwählern“ gesprochen – und er ist ja ganz gewiß kein Rassist. Daß man jetzt Wörter auslöscht oder ersetzt, daß man wieder beginnt, literarische Texte zu reinigen, setzt auch ein Bild vom Kind voraus, das man fast absurd nennen möchte.
Liebe Kinderbuchzensorinnen und Kinderbuchzensoren! Kinder sind nicht aus Glas. Kinder sind auch nicht kleine zerbrechliche Geschöpfe, die man vor allem Bösen in der Welt beschützen muß. Ich wage sogar die Behauptung, daß sie oft klüger sind als die Verleger von Kinderbüchern. Sie brauchen nicht die Schere des politisch und moralisch korrekten Zensors, der sie bevormunden möchte, sie brauchen Geschichten mit Saft und Kraft, mit soviel Welt darin wie nur möglich. Wenn etwas für das Alter des Kindes noch nicht verständlich ist, können es die Eltern erklären – dazu sind sie ja da. Das alles geht ohne Schere viel, viel besser.
Im übrigen: wenn man liest und hört, welche Wörter heute Grundschulkinder schon in den Mund nehmen, dann ist der sprachpolizeilich beanstandete „Neger“ nun wirklich nicht der Rede wert.