Mo Yan, der feine Herr Nobelpreisträger

Den Entscheidungen der Nobelpreiskomitees – besonders beim Friedens- und beim Literaturnobelpreis – wird oft Einseitigkeit vorgeworfen: man wähle die Preisträger aus westlicher und politischer Sicht aus. Davon hat man sich jetzt aber endgültig emanzipiert. Mit Mo Yan hat ein braver, staatstragender chinesischer Dichter den Nobelpreis für Literatur bekommen.

Vielleicht hat er ihn für seine Dichtungen verdient – das kann ich nicht beurteilen. Aber daß ein so hoch Geehrter auch nach seinen menschlichen, moralischen und politischen Auffassungen beurteilt wird, versteht sich von selbst, das ist auch allen seinen Vorgängern so ergangen. Es ist ja schließlich ein Unterschied, ob einer im warmen Nest, von der Obrigkeit hofiert und beschützt, seine Verse schreibt, oder ob er mutig und unter Einsatz seiner Gesundheit und seines Lebens gegen die Ungerechtigkeit kämpft.Wenn nun der aus dem warmen Nest, von der Regierung gehätschelt und gelobt, kein einziges mitfühlendes Wort findet für seine Kollegen, die in Gefängnissen und Straflagern sitzen, und zwar nur deshalb, weil sie unliebsame Texte geschrieben haben! – dann sollte er sich schon fragen, ob er den höchsten Preis verdient hat, den ein Schriftsteller bekommen kann.

Schon über einen kleinen, zarten Hinweis auf die mit brutaler Rohheit behandelten Kollegen hätte man sich gefreut – aber sie waren Mo Yan nicht zu entlocken. Im Gegenteil! Die Zensur, sagte Mo Yan am Donnerstag auf einer Pressekonferenz, sei ein „notwendiges Übel“ – und er verglich sie mit den Sicherheitskontrollen auf Flughäfen (hier nachzulesen). Zensur gebe es schließlich in jedem Land der Welt – nur der jeweilige Grad sei unterschiedlich. Auf die Frage, ob er für eine Entlassung seines zu elf Jahren Haft verurteilten Schriftstellerkollegen Liu  Xiaobo eintrete, meinte er nur:

Lassen wir das die Zeit entscheiden.

Aus solchem Holz ist also der neue Nobelpreisträger für Literatur geschnitzt. Ai Weiwei, der jeden Tag damit rechnen muß, daß er wieder verschleppt oder von amtlich bezahlten Schlägern halbtot geprügelt wird, sagte nur, Mo solle sich schämen.Und Patrick Poon, der das PEN-Zentrum unabhängiger chinesischer Schriftsteller in Hongkong leitet, meinte:

Daß ein Nobelpreisträger die Zensur unterstützt, kann auf keinen Fall akzeptiert werden. Wir alle sollten uns fragen, ob ein solcher Schriftsteller den höchsten Literaturpreis der Welt verdient hat.

„Mo Yan ist ein Zyniker“, schreibt auch Liao Yiwu, der einer langjährigen Gefängnisstrafe nur durch eine abenteuerliche Flucht nach Berlin entgangen ist. Und Herta Müller, die den Nobelpreis für Literatur 2009 erhalten hat, nennt die Entscheidung für Mo Yan eine „Katastrophe“:

Das ist eine Ohrfeige für alle, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.

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