Ich weiß, lieber Wladimir Wladimirowitsch: lebte ich in Rußland, da hätten Deine treuen Helfer von den Sicherheitskräften schon im Morgengrauen an meine Tür geklopft und mich wegen meiner respektlosen Briefe an Dich ins Gefängnis gesteckt. Und da wäre ich dann für ein paar Jährchen geblieben. Aber ich danke Gott, daß ich in einem freien Land lebe, in dem weder ein russischer Alleinherrscher noch irgendein Imam oder Kalif das Sagen hat. Ich lebe, dem Herrn sei’s gedankt, in einem freien Land.
Mütterchen Rußland ist leider noch weit von einem freien Land entfernt, ja, wenn ich es mir recht überlege, so ist es heute sogar viel unfreier als zu Jelzins Zeiten. Und wer hat dafür gesorgt? Du allein, Wladimir Wladimirowitsch!
Du mimst den kraftvollen Herrscher, den starken Mann, so wie ihn sich die schwachen Menschen wünschen – denn nur wer sich selbst schwach und hilflos fühlt, braucht einen starken Mann, habe ich recht? Also sieht man Dich jagen, fischen, schießen und in seichten Gewässern Altertümer finden. In einer ordentlichen Demokratie würde man Dich deshalb eher auslachen, als Dich zum Präsidenten zu machen. Aber Rußland hat den Übergang von der Parteidiktatur zur Demokratie leider nicht geschafft. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber die Tatsache steht fest. So bist Du also schon wieder Präsident geworden, und mir scheint, Du hast deshalb ein Gefühl der Allmacht bekommen – stimmt’s, Wladimir Wladimirowitsch? Die Duma und damit die Gesetzgebung hast Du fest im Griff, und was die Rechtsprechung betrifft – welcher Richter würde es wagen, ein Urteil zu fällen, das Dir Mißbehagen bereitet?
Deshalb hast Du jetzt begonnen, in Rußland aufzuräumen. Der ganze demokratische Unfug soll weggefegt werden.
Demonstrationen auf der Straße? Dafür hast Du ein Demonstrationsgesetz geschaffen, das jeden, der eine Demonstration ordentlich anmeldet, wirtschaftlich vernichten kann. Unabhängige Organisationen, die Dir bei Wahlfälschungen auf die Finger schauen? Da hilft ein Agentengesetz, denn solche unliebsamen Menschen werden ja bekanntlich vom feindlichen Ausland gesteuert. Und wenn man seine Informationen aus dem Internet holen will? Dafür hast Du ein feines Internetgesetz geplant, das „schädliche Seiten“ sperrt. Am besten nennst Du Dich gleich Pu Tin – in Anlehnung an Deine chinesischen Genossen, die ihre Zensur schon viel besser beherrschen als Du. Aber ich habe keinen Zweifel, Wladimir Wladimirowitsch, daß Du sie bald einholen wirst, denn Du bist aus dem selben Holz geschnitzt wie sie.
Und warum schreibe ich Dir das, Genosse Putin (denn ein Genosse warst Du, ein Genosse bist Du, auch wenn Du neuerdings den frommen Christen gibst, und ein Genosse wirst Du bleiben)? Ich schreibe das, weil ich sicher bin, daß Deine Rechnung nicht aufgehen wird. Mit allen Gesetzen der Duma, in der Deine – jetzt hätte ich doch fast gesagt: Leibeigenen sitzen, mit all diesen Gesetzen wirst Du den Lauf der Geschichte nicht aufhalten können.
Vielleicht solltest Du gehen, bevor Dich Dein eigenes Volk zum Teufel jagt.
Das jedenfalls empfiehlt Dir, lieber Wladimir Wladimirowitsch,
Dein Lupulus aus dem feindlichen Ausland.