In der Süddeutschen Zeitung liest man heute:“Griechenland atmet auf – doch Spaniens Krise verschärft sich“, und weiter:
Entziehen die Märkte den beiden Schwergewichten Spanien und Italien das Vertrauen, wird es für die Regierungen immer schwieriger, neues Kapital zur Finanzierung der Staatshaushalte aufzunehmen. Die bisherigen Rettungsschirme gelten aber für umfangreiche Hilfen an diese Länder als zu klein. Spanien soll bereits bis zu 100 Milliarden Euro Kredite zur Stützung seiner Banken erhalten.
Und Reuters schreibt:
Die Finanzmärkte haben die Euro-Zone weiter am Haken.
Da haben wir sie wieder: „die Märkte“. Sie haben etwas Gottgleiches, dann wieder etwas Mysteriöses, fast Okkultes an sich, und sie scheinen nichts dagegen zu haben, wenn sie von der Politik gleichsam vergöttlicht werden.
Wie werden die Märkte reagieren? Was sagen sie? Schneiden sie uns womöglich den Lebensfaden ab – oder lassen sie uns erst noch ein bißchen zappeln?
Sie haben etwas von den unerforschlichen Mächten in Kafkas Schloß, und wir – wir sind so arm, so hilflos und oft auch so wütend wie der Landvermesser K.
Die „Märkte“ haben fast die nebulöse Macht des Delphischen Orakels. Aber sie sind in Wirklichkeit alles andere als nebulös. Sie bestehen – ganz anders als das altmodische Orakel von Delphi – nur aus zwei Komponenten: Geld (sehr, sehr viel Geld!) und – Macht.
Interessant ist nun, daß die Geldgeber und Banken, die ja – nicht erst seit den Fuggern – schon immer auch Staaten und Regierungen mit Anleihen zur Seite gesprungen sind und dabei wunderbare Gewinne gemacht haben, jetzt zum ersten Mal nicht mehr dezent im Hintergrund bleiben. Dabei war stille Vertraulichkeit eigentlich immer die Geschäftsgrundlage – nie sind solche Geschäfte an die große Glocke gehängt worden.
Mit dieser Zurückhaltung ist es vorbei. Das große Finanzkapital läßt seine Muskeln spielen, es geht öffentlich und mit einer beispiellosen Brutalität zum Angriff über. Regierungen, Staaten, ganze Kontinente werden erpreßt, bedroht und – wenn es sein muß – runiert. Bis in die Regierungsbildung hinein wollen diese Geldgeber alle Bedingungen der Staaten so manipulieren, daß sich ihr Kapital dabei am besten verwertet.
Früher haben die Geldgeber, wie ich sie einmal nenne, um nicht beleidigend zu werden, früher haben sie also ängstlich nach den Wahlergebnissen geschaut, heute ist es umgekehrt: die gewählten Politiker starren ängstlich auf die „Märkte“. Es ist, zumindest auf den ersten Blick, eine verkehrte Welt: demokratische Regierungen kuschen und machen sich klein, die Geldgeber blähen sich auf.
Bei Lenin hieß das noch Monopolkapital und Finanzoligarchie, aber es war genau dasselbe. Es ist konzentriertes Kapital, Kapital in einem Umfang, wie sich ein Laie das – trotz der Gewöhnung an milliardenschwere Rettungsschirme – nicht vorstellen kann. Aber dieses „Finanzkapital“ ist sich nun seiner Macht bewußt geworden und macht von ihr auch Gebrauch. Das ist neu.
Hilflos sind unsere Regierungen nur, weil sie uneins sind. Es ist nämlich nicht so, daß die Staaten von den Geldgebern abhängig sind – die Geldgeber sind ihrerseits auch von den Staaten abhängig. Sie verdienen so gut an den (immer höher verzinsten) Geldanleihen, daß die beim griechischen Schuldenschnitt verlorenen Geldern nur peanuts waren.
Man müßte mit ihnen im selben Ton reden, in dem sie mit uns reden. Man muß ihnen – wie kleinen Kindern – die Grenzen zeigen, denn es sind im Grunde kleine, aber sehr böse und sehr gefährliche Kinder.
Und man kann durchaus einmal wieder in den Werken von Marx und Engels blättern, das ist keineswegs ehrenrührig – freilich nicht, um wieder monströse sozialistische Gesellschaften zu errichten (davor behüte uns Gott), sondern vielmehr, um zu untersuchen, ob nicht doch manche der Analysen – vor allem bei Marx – richtig waren.