So darf man mit Griechenland nicht länger umspringen

Wenigstens im Fußball hat Griechenland – völlig unerwartet! – etwas geschafft, was der arg geschundenen griechischen Nation gutgetan hat. Es hat das hoch favorisierte Rußland geschlagen und ist ins Viertelfinale eingezogen. Das war Balsam für die griechische Volksseele. Die emotionalen Interviews mit den Spielern nach dem Match zeigen, wie tief die Verletzungen sind, die das Land erlitten hat.

Bis vor ein paar Jahren war Griechenland ein gern besuchtes Urlaubsland, ein bißchen leger, ein bißchen schlampert – wie alle Mittelmeervölker, aber gerade darum hat man doch dort Urlaub gemacht. Wenn man selbst in den Ferien noch deutsche Akkuratesse, deutsche Pünktlichkeit braucht, dann muß man halt im eigenen Land bleiben.

Die Griechen sind ein liebenswertes Volk. Mit dem (von der Politik gesteuerten!) Zerrbild, das bei uns neuerdings herumgeistert, haben sie nichts, aber auch gar nichts zu tun. Ich kenne das Land und seine Menschen seit 1973 – und ich werde wirklich fuchsteufelswild, wenn ich höre, mit welcher arroganten Kaltschnäuzigkeit etwa unsere Kanzlerin, die gern eine zweite iron lady werden möchte, über dieses Land den Stab bricht. Sie bohrt das dünnste Brett, denn an die Finanzspekulanten, die ein europäisches Land nach dem anderen ruinieren, wagt sie sich nicht heran.

Aber mit den Griechen kann man es ja machen.

Die kann man unter dem Gejohle der deutschen plebs mal so richtig fertigmachen. Sie sind der perfekte Sündenbock, weil man sich an die wirklichen Täter nicht herantraut.  Über die Griechen fühlt sich fast jeder Deutsche erhaben – auch wenn er von Schwarzarbeit lebt, die Versicherung übers Ohr haut, Teppiche unverzollt einfliegen läßt oder eine osteuropäische Pflegekraft ohne Versicherung anstellt. Auch jeder deutsche Unternehmer, der seinen Mitarbeitern Löhne zahlt, von denen sie nicht einmal ihre Miete zahlen können, fühlt sich über die Griechen weit erhaben. Deutsche Manager, die sich Gehälter und Boni in Millionenhöhe genehmigen, Sportler, die ihren Wohnsitz nach Monaco verlegen, sie alle zeigen mit dem Finger nicht auf sich, sondern – auf Griechenland.

Schämt euch! – sage ich da. Was wißt ihr eigentlich von diesem Land, das fast vier Jahrhunderte lang, seit der Eroberung von Byzanz durch die Osmanen (1453), unter der Knute des Sultans von Istanbul hat leben müssen? Jahrhundertelang durften griechische Kinder nicht einmal Schulen besuchen, es gab keine Schulen, keine Universitäten, keine Literatur, kein kulturelles Leben, keine Zeitungen, nichts. Einzig und allein die griechisch-orthodoxe Kirche wurde von den Osmanen geduldet, und sie war es auch, die zum Teil unter elenden Bedingungen die griechische Sprache und – trotz der fortgesetzten Unterdückung und mehrerer Einwanderungswellen aus dem Balkan – auch die griechische Identität bewahrt hat. Und: die Griechen waren das erste Volk, dem es in einem jahrelangen Freiheitskampf gelang, das türkische Joch abzuschütteln.

Aber das alles zählt nicht mehr – so wie auch für unsere ignoranten Politiker das griechische Erbe der Antike nichts mehr bedeutet. Kann sich irgendjemand vorstellen, daß für die Herren Pofalla, Kauder, Seehofer die Namen Solon, Demosthenes, Platon oder Demokrit noch irgendeine Bedeutung haben? Auf ihnen ruht zwar unsere Kultur, aber viel wichtiger sind doch die neuesten Verdikte der Ratingagenturen.

Was wir – gerade unter der Regierung Merkel – erleben, ist (biblisch gesprochen) eine Anbetung des Goldenen Kalbes, eine beinahe uneingeschränkte Herrschaft des Pekuniären. Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles! Nichts anderes ist mehr von Belang, es geht nur noch (um mit Marx zu sprechen) um die bare Zahlung. Selbst wenn es irgendwo in Europa Wahlen gibt, hört man immer nur die bange Frage: was werden die Märkte dazu sagen? Ob ein Volk die kulturellen Grundlagen des ganzen Kontinents geschaffen hat – was soll’s? Wenn der Daumen der Ratingagenturen nach unten geht, dann opfern wir – anders als damals unter den römischen Kaisern – nicht nur eine Handvoll von Gladiatoren, sondern, und zwar mit leichter Hand, ein ganzes Volk.

So machen sich die demokratischen Regierungen – unbegreiflicherweise! – zum Büttel eines moralisch heruntergekommenen Finanzsystems.

Dieser Beitrag wurde unter Politik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert