Die fast immer großspurig auftretenden Vertreter der türkisch-muslimischen Verbände waren sofort zur Stelle. Es scheint, als warteten sie ständig auf einen Grund, sich zu empören. Bescheidenheit, common sense ist nicht ihre Stärke.
Dabei hat unser Bundespräsident, als er sich auf den umstrittenen Satz seines Vorgängers bezog, daß der Islam nämlich zu Deutschland gehöre, eine ganz selbstverständliche Korrektur angebracht:
Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.
Genauso ist es. Man kann doch nicht aus der Tatsache, daß heute viele Muslime unter uns leben, kurzerhand schließen, daß auch unsere Geschichte und unsere Kultur vom Islam mitgeprägt seien.
Das sind sie nämlich nicht.
Jeder, der in unserem Land lebt, genießt – solange er sich an die Gesetze hält – die volle Religionsfreiheit. Sie ist ihm sogar durch das Grundgesetz garantiert. Aber jeder, der hier lebt, sollte sich auch im klaren darüber sein, daß es kaum ein islamischen Land gibt, das seinen Bürgern eine vergleichbare Freiheit einräumt. Selbst in der Türkei haben Christen einen schweren Stand – sie sind allenfalls eine geduldete Minderheit, und von einer wirklichen Religionsfreiheit ist man in der Türkei noch weit, weit entfernt.
Deshalb entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, daß ausgerechnet die türkischen Verbände in Deutschland immer wieder etwas einfordern, was ihr Heimatland allen Nichtmuslimen immer noch versagt.
Mich verwundert es, daß selbst gebildete Muslime bei solchen Anlässen genauso stereotyp reagieren wie ihre ungebildeten Glaubensgenossen. Da ist sofort von Islamophobie die Rede, da wird gar dem Bundespräsidenten, der solche Belehrung weiß Gott nicht nötig hat, ein „Blick in die Geschichtsbücher“ empfohlen. Ein gewisser Güner Deniz nennt Gaucks Satz „Blödsinn“, und Lamya Kaddor spricht – ebenso dreist wie dumm – von „Meinungsmache“ und „Stimmenfang“.
Und auch Cem Özdemir von den Grünen kritisiert Gauck:
Wenn der Bundespräsident erklärt, dass Muslime, die hier leben, zu Deutschland gehören, dann gehört natürlich auch ihr Islam zu Deutschland.
Da müßte man jetzt wirklich semantisch untersuchen, was die Vokabel „gehören“ bedeutet. Wenn es die bloße Existenz des Islam in Deutschland meint, hätte Özdemir natürlich recht. Das wäre aber doch eine eher platte Aussage: der Islam ist da, weil er da ist.
Aber darum geht es hier doch nicht. Es geht hier allein um Geschichte und Kultur, und zwar genau die Geschichte und die Kultur, die uns in Europa bis in den Alltag hinein seit Jahrhunderten prägen. Und da hat der Islam nun wirklich nicht die geringste Rolle gespielt. Im Gegenteil: der Islam mit seiner Unduldsamkeit war immer so etwas wie ein kultureller Gegenentwurf, er war – wie es sich einst in dem Ruf „Die Türken vor Wien!“ ausgedrückt hat – geradezu ein Schreckgespenst, und das wahrhaftig nicht ohne Grund.
Viele Generationen von uns Europäern haben – oft unter großen Opfern! – kämpfen und leiden müssen, bis wir endlich diesen freiheitlichen, liberalen, demokratischen Rechtsstaat hatten. In ihm fühlen wir uns wohl. Er ist eine Errungenschaft, das heißt: er mußte buchstäblich errungen werden.
Wer hier mit uns leben will und sich mit uns über all das freut, was ihm als Ergebnis einer langen Geschichte zuteil wird, ist immer willkommen, denn er ist dann ja wie wir Erbe einer Vergangenheit, deren Früchte wir alle genießen. Wer uns aber bei jeder Gelegenheit belehren und uns einen völlig anderen, eher archaischen Gesellschaftsentwurf aufzwingen will, der sollte sich wirklich ein anderes Land suchen. Er wird hier nicht glücklich werden, denn wir werden, das sollte jedem klar sein, unsere Kultur, unsere Geschichte, unsere Freiheit verteidigen. Gerade Joachim Gauck sagt das immer auf beeindruckende Weise, und deshalb war auch die Bemerkung von Cem Özdemir ein überflüssiger Fauxpas. Er ist doch ein intelligenter Politiker (obwohl er bei den Grünen ist, hätte ich jetzt fast gesagt), da hat er eigentlich diese Verteidigungsreflexe, wie man sie von den aus Ankara gesteuerten Islamverbänden kennt, nicht nötig.
Ich vermute, daß ein anderer Satz des Bundespräsidenten der eigentliche Stein des Anstoßes war, denn er erinnert ein bißchen an die Rede, die Papst Benedikt XVI. in Regensburg gehalten hat:
Wo hat denn der Islam dieses Europa geprägt, hat er die Aufklärung erlebt, gar eine Reformation? Ich bin hoch gespannt auf den theologischen Diskurs innerhalb eines europäischen Islams.
Aber diesen Diskurs, fürchte ich, werde ich nicht mehr erleben. Reformation, Aufklärung, selbst das aggiornamento des Zweiten Vatikanischen Konzils – solche Entwicklungen sehe ich auch im europäischen Islam nicht, solange geistig (und geistlich!) unbewegliche Verbandsbürokraten hier im Lande lautstark den islamischen Ton angeben.
Aber schön wär’s, ja.