Es war ein selbstgemaltes Plakat, das Günther Jauch am Anfang seiner Sendung nur für Sekunden zeigte. Während innen im feinen Gestühl Peer Steinbrück und Thilo Sarrazin saßen, zeigte uns draußen vor der Tür der linke Berliner Mob, welche Gesprächskultur er pflegt. „Halt’s Maul“, stand da, „sonst schlagen wir zurück!“ Zurück? Ist denn Sarrazin je handgreiflich geworden? Bei den Demonstranten soll es sich, wie man in der Presse liest, um Vertreter der Jusos und „einiger anderer Organisationen“ gehandelt haben.
Wer heute morgen die ersten Kritiken der Diskussion liest, kann nur staunen. Philipp Stempel von der Rheinischen Post beklagt sich darüber, daß „Deutschlands bewährtester Provokateur“, das „PR-Genie“ Sarrazin
bei bester Sendezeit seine Thesen ausbreiten kann.
Und das ist jetzt verboten? Merkel darf ihren unsäglichen, fast bizarren Satz „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ ständig wiederholen, aber ein Sarrazin darf ihn nicht widerlegen? Das ist eine sonderbare Sicht der Dinge. Da versteht es sich von selbst, daß Sarrazin nur „banale Argumente“ hat. Steinbrück „gelingt es trefflich, Sarrazin zu demaskieren“, meint Stempel, der offenbar eine ganz andere Sendung gesehen hat als ich. Eher, finde ich, hat man gesehen, daß der hochgelobte designierte Kanzlerkandidat der SPD nicht in der Lage war, auch nur ein einziges der von Sarrazin ruhig und sachlich vorgebrachten Argumente zu widerlegen.
Auch Christoph Rybarczyk vom Hamburger Abendblatt scheint in einem Paralleluniversum fernzusehen. „Sarrazin wütet bei Jauch“, schreibt er. Ach, du lieber Gott! Hat Rybarczyk vor der Sendung vielleicht einen Joint geraucht? Oder hat er die Diskussion gar nicht gesehen? Daß man dem
populistischen Provokateur Sarrazin wieder ein Forum bietet – eine Schande für die öffentlich-rechtlichen Sender, finden viele.
Viele? Es sind doch immer dieselben, und sie kommen mit ihren reflexhaften, gebetsmühlenartigen Reaktionen alle aus derselben Ecke: Künast, Trittin, Schäuble. Das nicht zu übersehende „Halt’s Maul“-Plakat übergeht Rybarczyk mit Stillschweigen, er erwähnt nur ein Schild mit der Aufschrift „Nein zu Rassismus“. Hat zwar nichts mit dem Thema zu tun, aber „gegen Rassismus“ und „für den Weltfrieden“ klingt für schlichte Gemüter immer gut. Sarrazin „behauptet“, er sei Europäer, Steinbrück „platzt der Kragen“. Der ganze Artikel ist bis in die einzelnen Wörter ein Musterbeispiel für demagogischen Meinungsjournalismus.
Der Stern findet bei Sarrazin „krude Formulierungen und Thesen“, die Fakten in seinem Buch sind natürlich „scheinbar“. Nakissa Salavati von der Süddeutschen Zeitung hat verblüffenderweise gesehen, „wie Sarrazin an Steinbrück scheitert“. Die Zuschauer wollten, liest man da, „ganz viel gute Laune sehen“, aber Sarrazin „jongliert lieber eine Stunde lang mit Zahlen“. Bei der Süddeutschen sind Schwarz und Weiß klar verteilt:
Gesunder Menschenverstand versus Faktenverliebtheit, Optimismus versus Endzeitstimmung.
Selbst Nils Minkmar von der F.A.Z. meint zu Sarrazin:
Am Ende der Sendung stand der nach eigener Selbstdarstelllung so rationale, auf Fakten und Daten bezogene Fachmann als der eigentlich Sentimentale da, der seinen Vorurteilen und Emotionen freien Lauf lässt.
Man kann, wenn man all dies liest, nur mit dem Kopf schütteln. Die Frankfurter Rundschau immerhin, das sei zur Ehre des deutschen Journalismus erwähnt, stellt fest:
Es ist ja dann auch ein sehr sachliches Gespräch gewesen, das die beiden geführt haben – jenseits aller Aufgeregtheiten.
Genauso war es. Ein Wort nur noch zu Günther Jauch. Er hat manchmal den Eindruck erweckt, als sei es eine Ehre für Sarrazin, daß er seine Meinung darlegen dürfe. Nein – das ist keine Ehre. Es ist eine Selbstverständlichkeit. Und Journalisten, das nur nebenbei, sollten sich freuen, wenn sich endlich einmal jemand findet, der den „kruden Thesen“ der Kanzlerin, die in ihrer schlichten Art Europa immer wieder mit dem Euro gleichsetzt, entschlossen und sachkundig widerspricht.