Man kann sich nur wundern. In unserem Land wird von Intellektuellen und Journalisten immer gern und oft der Satz von Rosa Luxemburg zitiert:
Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern.
Aber in diesem Land gibt es zumindest einen Andersdenkenden, der sich besser nicht äußern sollte – wenn es nach SPD, Linken, Grünen usw. geht, also den Gralshütern des Wahren, Schönen, Guten. Dieser eine Andersdenkende ist Thilo Sarrazin.
Ich sage nicht, daß er einer der begabtesten deutschen Intellektuellen ist (das sind Künast und Trittin aber nun wirklich auch nicht). Ich weiß auch, daß an seinem letzten Buch manches wissenschaftlich bezweifelbar ist. Aber warum toben die Heiden schon wieder prophylaktisch, wenn er heute abend bei Jauch sein neues Buch vorstellt? Jeder Idiot darf in den Talkshows jedes idiotische Buch vorstellen – aber er, Sarrazin, darf es nicht?
Kaum hört man den Namen Sarrazin, schon melden sich die üblichen Geiferer zu Wort. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, fordert, daß sich „mit Sarrazin niemand mehr in eine Talkshow setzen“ solle. Ebenso die in ihrer dogmatischen Strenge fast katholisch anmutende Zensorin Künast: Sarrazin passe nicht „zum Bildungsauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders“. (Hat sie das je über das Heer der Sternchen und Dummchen gesagt, die diese Sender fest im Griff haben?) Patrick Döring findet, daß Sarrazins Thesen „im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen haben“. Und Trittin wundert sich, daß Sarrazin „immer noch in der SPD“ sei.
Jetzt warte ich nur noch auf das Verdikt der Kanzlerin, daß Sarrazins Buch „nicht hilfreich“ sei.
Um noch einmal ganz deutlich zu sein: es geht mir hier nicht um den Inhalt des Buches, den ich genauso wenig kenne wie die harschen Kritiker, die ihr Urteil allesamt nur auf einen einzigen Satz stützen. Es geht mir um eine Art Totschlagkultur in der öffentlichen Diskussion, in dem ein Mann, weil er immer gegen den Stachel löckt und ungewöhnliche Thesen aufstellt, gleichsam wie ein räudiger Hund behandelt wird. Vor allem die linksgrüne Szene, zu der auch die Merkelsche CDU immer mehr neigt, scheint mir da in einer ideologischen Starre gefangen, die nicht gut ist für unser Land. Der Erfolg des letzten Sarrazin-Buches hatte seinen Grund ja eben darin, daß in dieser politischen Szene und in der veröffentlichten (nicht der öffentlichen!) Meinung über den Haß eines Teils der muslimischen Jugend auf das Land, in dem sie leben, nicht geredet werden durfte. Es war im Land der tausend Integrationsbeauftragten eines der letzten großen Tabus.
Sarrazin hat dieses Tabu gebrochen – und das war gut so. Es war befreiend, auch wenn man ein paar Abstrusitäten seines Buches nicht teilen konnte. Nach dem Erscheinen von „Deutschland schafft sich ab“ tat sich eine tiefe, fast unüberbrückbare Kluft auf zwischen der politischen und journalistischen Klasse auf der einen und dem Mann auf der Straße auf der anderen Seite. Eine Mehrheit in der Bevölkerung freute sich über das Buch, und die Politiker hätten sich am liebsten – ein anderes Volk gewählt. Sie sind ja auch eher selten abends und nachts in leeren U-Bahnhöfen unterwegs, und ihr direkter Kontakt mit haßerfüllten, nach Gewalt förmlich lechzenden Jugendlichen hält sich in Grenzen. Sie sehen diese Jugendlichen immer nur durch die rosarote Brille ihrer ideologischen Postionen. Aber die ganz normalen Menschen, wenn sie zum Beispiel einer Schichtarbeit nachgehen, sind diesen jungen Männern wirklich ausgesetzt.
Die Diskussion wurde zu einem Fiasko für Politiker und Journalisten, die am Ende zugeben mußten, daß sie die Virulenz des Problems völlig falsch eingeschätzt hatten. Beide gelobten Besserung.
Und – haben sie sich gebessert?
Ganz und gar nicht. Auch jetzt kommen wieder – sozusagen aus der Hüfte geschossen und in den meisten Fällen ohne vorhergehende Lektüre des Buches – die üblichen ideologischen Reflexhandlungen, genau wie beim letzten Buch. Die Kränkung durch Sarrazin, das sieht man immer deutlicher, sitzt tief. Und sie lassen es ihn spüren.
Dabei müssen sie sich doch nicht sorgen. Sein Diskussionspartner heute abend bei Jauch ist Peer Steinbrück, und da hat Sarrazin, dessen Stärke die Auftritte in Talkshows nun wirklich nicht sind, kaum Chancen. Der schlagfertige Steinbrück mit seinem trockenen Humor wird es gegen Sarrazin leicht haben, fürchte ich.
Wozu also die ganze Aufregung? Ein bißchen mehr Gelassenheit kann man von unseren Politikern schon erwarten. Man muß doch nicht gleich zur Schnappatmung übergehen, nur weil Sarrazin bei Jauch im Studio sitzt!