Lieber Wladimir Wladimirowitsch,
das muß ganz schön traurig für Dich gewesen sein, als Du kürzlich in Deiner schwarzen Limousine durch die leeren Moskauer Straßen gerast bist! Keine Menschen am Straßenrand, keine Fähnchen, nicht einmal die Dir treu ergebenen Mitbürger vom Einigen Rußland waren da! Wie ein Geist sollst Du ausgesehen haben hinter den dunkel getönten Scheiben. Dabei war es doch ein Jubeltag – Du bist zu Deiner Amtseinführung gefahren. Noch einmal sechs Jahre wirst Du jetzt also mit kluger Hand die Geschicke Deines Reiches lenken. Das ist ein wahres Glück für Rußland! Jetzt hast Du nämlich die Möglichkeit, die Straßendemokratie weiter zu bekämpfen, diese lästigen Zecken, die sich an Deinem gestählten Körper festsaugen, statt Dich (wie jeder anständige Russe) einfach nur anzubeten.
Sehr gefreut habe ich mich über die große Militärparade, die Du kurz danach abgehalten hast. Sie hat mich an die schönen Tage der Sowjetzeit erinnert. Ach, die goldene Vergangenheit! Und soviele schöne Spielzeuge! Da bin ich wirklich ein bißchen neidisch geworden.
Ach ja, eines wollte ich Dich noch fragen: hast Du auch gehört, daß man in Aachen – also im feindlichen Ausland! – die Zeitung Nowaja Gaseta mit der Karlsmedaille ausgezeichnet hat? Eindeutig eine Provokation! Die rühren doch nur im Schmutz, diese vaterlandslosen Journalisten. Kein Wunder, daß man in den letzten Jahren fünf von ihnen ermordet hat.
Wie gut, daß es da einen gibt, der wie ein neuer Atlas das ganze russiche Reich auf seinen Schultern trägt und es so herrlich regieret!
Irgendwo habe ich gelesen, daß Du jetzt, nach Deiner Wiederwahl, ein ganz neuer Putin sein würdest, sozusagen die Version 2.0 Deiner selbst. Aber das glaube ich nicht – und ich will es auch nicht.
Deshalb, lieber Wladimir Wladimirowitsch, rufe ich Dir zu: bleibe, der Du immer warst! Dann wird alles gut. Und nicht vergessen: immer schön auf die Straßendemokraten einprügeln.
Dein Lupulus
aus dem feindlichen Ausland.