Über den Jugendlichkeitswahn in der deutschen Politik

Erinnern Sie sich noch an Kommissar Sawatzki? Er hat in den 90er Jahren in Wolffs Revier an der Seite von Kriminalhauptkommissar Andreas Wolff Verbrecher gejagt. Nur wenige Jahre vor dem wirklichen Tod des Schauspielers Klaus Pönitz hat SAT 1 ihn im Film sterben lassen – er war zu dick und vor allem: zu alt. Er habe „nicht mehr so rennen können“, sagte der Sender damals und verpaßte auch dem Hauptdarsteller eine neue Frisur, die ihn, wie man dem Publikum stolz mitteilte, „jünger und souveräner erscheinen“ ließ.

Bald darauf wurden wir – vor allem in den Privatsendern – überflutet von Serien, in denen junge, sportliche, aber geistig nicht ganz so anspruchsvolle Kommissare (und noch jüngere und immer sehr attraktive Staatsanwältinnen) zuhauf die Serienkrimis bevölkerten. Rennen konnten und können sie alle viel besser als der alte „Watzki“, aber richtige Menschen sind sie im Grunde nicht, eher Knallchargen, und das merkt man dann, wenn der Drehbuchautor sie zwingt, Bedeutsames zu sagen über Gott und die Welt. Das kann nicht gutgehen.

Sie wollen doch nur rennen!

Auch in der Politik, wo lange gewisse Mindestanforderungen an Erfahrung und Lebensklugheit gefragt waren, dreht sich jetzt der Wind. Überall tauchen auf geheimnisvolle Weise junge, attraktive Politikerinnen auf, die – kaum daß sie ihr Abitur bewältigt haben (ja, ich weiß, ich übertreibe ein wenig) – von älteren Parteivorsitzenden an die Spitze von Ministerien gestellt werden. Aber erst einmal muß man die betagten Vorgängerinnen loswerden! Das kann ganz schnell gehen – der hessische FDP-Vorsitzende Jörg-Uwe Hahn (55) macht es gerade vor: der Kultusministerin Dorothea Henzler (63) wird die Pistole auf die Brust gesetzt, man gibt ihr zu verstehen, daß sie keinen Rückhalt mehr in der Partei habe. Nach ein paar Stunden kündigt sie ihren Rücktritt an. „Die FDP besteht darauf“, sagt sie resigniert. Ihre Nachfolgerin wird, wie man liest, die über 20 Jahre jüngere Juristin Nicola Beer.

Auch der hessische Wirtschaftminister Dieter Posch (67) muß zurücktreten. Sein designierter Nachfolger ist Florian Rentsch (37). Jörg-Uwe Hahn, der selbst natürlich nicht ersetzt werden möchte, hat dieses Postenkarusell offenbar seit langem geplant. „Ich habe jetzt freie Hand“, jubelt er (hier nachzulesen). Er will den „Generationswechsel“, und vor allem will er bei den nächsten Wahlen wieder in den Landtag einziehen.

Dabei ist die FDP doch ein Musterbeispiel dafür, daß gerade die Jungen alles vermasseln. Für diese These kann ich drei stichhaltige Argumente anführen: Philipp Rösler (39), Christian Lindner (33) und Patrick Döring (38). Da gehört Guido Westerwelle mit seinen 50 Jahren schon zu den Hochbetagten.

Man gewinnt zunehmend den Eindruck, daß jetzt auch in der Politik nicht mehr Inhalte, sondern nur noch Gesichter wichtig sind.  Marketing- und Werbestrategien entscheiden letztlich, wer ein Ministerium gewinnt oder verliert. In anderen gesellschaftlichen Bereichen ist das schon lange gang und gäbe, sogar in den Verlagen: auch Autoren müssen heutzutage sexy aussehen und in den Talkshows eine gute Figur abgeben. Wie sie schreiben – na ja, das merkt man dann, wenn man ihre Bücher anliest und schnell wieder weglegt.

Ist daran jetzt der Markt schuld, der nichts anderes sehen will als immer nur Jugend, Jugend, Jugend? Auf den ersten Blick sieht es so aus, auch im Fernsehen entscheidet über Serien und Sendungen die Gruppe der „14- bis 49jährigen“. Das Merkwürdige ist nur: schon aufgrund der demographischen Entwicklung ist diese Gruppe eine Minderheit, und auch bei der Kaufkraft können die Alten gut und gerne mithalten. Warum spielen sie dann kaum eine Rolle?

Das alles ist also bei weitem nicht so rational, wie es sich gibt.

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