Es tut mir leid – ich kann sie einfach nicht mehr sehen und hören, die fanatischen Massen, die sich schreiend, brüllend, drohend durch die Straßen wälzen, egal wo es ist: in Kandahar, im Gazastreifen, in Bagdad, in Kabul. Als warteten sie ihr ganzes Leben lang immerfort nur auf einen neuen Anlaß, sich zu empören, um dann auf die Straße zu stürmen und – zornig zu sein.
Fürst Pückler war einer der interessantesten Reiseschriftsteller des 19. Jahrhunderts: ein kluger, vorurteilsfreier und scharfsichtiger Mann, der – auch weil er begütert war – keine Rücksicht auf politische und andere Korrektheiten nehmen mußte. Von den Griechen hatte er keine allzu gute Meinung, aber viele Muslime, denen er auf seiner Reise durch Ägypten und den Sudan begegnete, schätzte er sehr. Und warum? Weil sie so viel würdevolle Gelassenheit ausstrahlten und unerschütterlich in sich ruhten.
Und wo ist diese Gelassenheit heute?
Ich will einmal träumen – das darf man nämlich!
Ich stelle mir vor, daß die Menschen in der muslimischen Welt nicht auf die Straße stürzen, mit Gesichtern, die entstellt sind von Wut und Haß – nein, sie bleiben einfach zuhause. Sie spielen mit ihren Kindern (auch mit den Töchtern!), sie musizieren, sie malen – und sie lesen. Sie lesen vielleicht ein Gedicht von Eichendorff oder Hafis oder die Effi Briest von Fontane. Vielleicht lesen sie sogar einmal in der Bibel oder in den Upanishaden.
Und wenn dann die Eiferer kommen und brüllen: „Tod den USA! Tod den Zionisten!“, dann lächeln sie nur und schließen vor ihnen die Tür.
Dann wären sie allein auf den Straßen, die Imame und Mullahs, die Aufwiegler, die bärtigen Haßprediger, allein in ihrer ganzen Armseligkeit, allein mit ihrem Haß – und sie wären ganz klein, denn ohne die Massen, die auf sie hereinfallen, die sich von ihnen zornig und dumm machen lassen, wären sie – nichts.
Ja, das ist ein Traum. Ich weiß.
ABER …
Aber: die Mauer ist gefallen. Der bis an die Zähne bewaffnete Ostblock ist in sich zusammengesunken wie ein Häuflein Elend. Der allmächtige Mielke, Herr über Leben und Tod, winselt vor aller Welt um Gnade. Und wo sind heute Saddam Hussein, Mubarak, Gaddafi?
Nein, alles ist möglich. Viele Träume sind schon wahr geworden. Meiner kann es auch werden.