Es ist ein fast unlösbares Problem – ein Dilemma im echten Sinne des Wortes.
Auf der einen Seite stehen alle jene, die geistig oder künstlerisch arbeiten. Wer oft jahrelang an einen Roman schreibt (und ich weiß, wovon ich rede), hat ein Interesse daran, daß der Leser ihn auch bezahlt. Genau wie Musiker, Maler, Journalisten muß er ja davon leben (meist ohnehin mehr schlecht als recht!), und es ist aus seiner Sicht schon eine Art von Diebstahl, wenn das Werk sozusagen zum Nulltarif und ohne seine Erlaubnis kopiert und verbreitet wird.
Auf der anderen Seite bieten Computer und Internet zum ersten Mal in der Geschichte die Möglichkeit, daß wirklich jeder – sofern er einen Computer hat – „mit einem Mausklick“ auf die gesamte Weltkultur zugreifen kann – oder besser: könnte. Denn das Urheberrecht macht ihm da einen Strich durch die Rechnung. Es ist freilich (etwa bei Literatur) auf die ersten 70 Jahre nach dem Tod des Autors beschränkt – Bücher von Autoren also, die vor 1942 gestorben sind, können frei verbreitet werden, sie sind gemeinfrei. Alles aber, was jünger ist, darf nach dem gegenwärtigen Rechtsstand nur gegen entsprechende Bezahlung benutzt werden. Darunter fallen natürlich fast alle Kinofilme und die gesamte Musik der Gegenwart. Wenn man die Sache also aus der Perspektive des Lesers (oder Hörers oder Betrachters) sieht, erscheint das Urheberrecht als Hemmschuh, es behindert den (heute zum ersten Mal überhaupt möglichen) freien Zugang zur Weltkultur, wie er im Zeitalter der „technischen Reproduzierbarkeit“ (Walter Benjamin) möglich wäre.
Das Recht der Autoren auf angemessene Entlohnung ihrer Arbeit und das Recht des Publikums auf freien Zugang zur Kultur klaffen soweit auseinander, daß eine Versöhnung der so verschiedenen Interessen zur Zeit fast unmöglich erscheint. Denn Psychologisches kommt noch dazu, Emotionales, Ideologisches, das die Sache nur noch schwieriger macht.
Die sog. Rechteinhaber – und vor allem ihre Vertreter, also Verlage, Musik- und Filmindustrie usw. – pochen darauf, das alles so bleibt, wie es immer war. Flexibilität ist nicht gerade ihre starke Seite, sie gehen oft mit rücksichtloser Härte gegen jeden vor, der etwa in einer Tauschbörse ein Lied oder einen Film herunterlädt. Solange sie das Recht auf ihrer Seite haben, so glauben sie, müssen sie um kein Jota von ihrer Rechtsposition abrücken. Das macht sie nicht nur in den Augen ihrer potentiellen Kunden unsympathsich, es führt auch dazu, daß sie sich dem dringend notwendigen Diskussionsprozeß um das Urheberrecht verweigern. Aber die Diskussion muß – und sie wird geführt werden. Statt immer neue und immer kostspieligere Kopierschutzmechanismen zu entwickeln, sollten sie besser darüber nachdenken, wie man auf diesem Gebiet zu einem vernünftigen gesellschaftlichen Ausgleich kommen könnte. Das Katz- und Maus-Spiel zwischen Rechteinhabern und „Kopierern“ können sie nämlich genausowenig gewinnen wie die Gegenseite.
Und diese Gegenseite, wie sie etwa auf dem politischem Feld durch die Piratenpartei verkörpert wird, ist nicht weniger engstirnig. Sie fordert die absolute Freiheit im Internet, aber ob ein Autor daran wirtschaftlich zugrundegeht, interessiert sie wenig.
Das ist das Dilemma, das zur Zeit unlösbar erscheint. Beide Seiten sind so stur, wie es nur geht, weil sie – beide! – nur auf einer technischen Ebene kämpfen: die einen mit immer mehr Kopierschutz und mit immer mehr Rechtsanwälten, die anderen mit immer raffinierteren Mechanismen, den Kopierschutz auszuhebeln und die rechtliche Verfolgung unmöglich zu machen.
Auf diese Art, ich sage es noch einmal, wird keine Seite den Sieg davontragen. Vor allem aber kommt es so nicht zu der dringend notwendigen gesellschaftlichen Diskussion über das „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ und über das Urheberrecht, das die einen mit Zähnen und Klauen verteidigen und die anderen mit Stiel und Stumpf ausrotten wollen.
Nötig wäre so etwas wie ein Runder Tisch, um einmal in Ruhe alle Aspekte des Urheberrechts und seine gesellschaftlichen und rechtlichen Implikationen zu erörtern. Aber solange beide Seiten nur Gift versprühen und immer noch an den totalen Sieg der eigenen Position glauben, besteht wenig Hoffnung auf eine Einigung.
Und der Staat? Er hat sich ohne Wenn und Aber auf die Seite des Urheberrechts, so wie es ist, geschlagen. Mit dieser strikten Parteinahme kann er kaum noch glaubhaft zwischen den Positionen vermitteln. Natürlich darf und muß er dafür sorgen, daß geltendes Recht eingehalten wird. Aber er hat auch die Pflicht, nach einem Ausweg zu suchen, der den heutigen Möglichkeiten zum freien Zugang zur Weltkultur auf der einen und den Interessen der Autoren auf der anderen Seite gerecht wird.