Ansonsten

Unsere Kanzlerin wägt ihre Worte – davon kann man ausgehen. Natürlich hat sie, wie jeder von uns, ein paar Lieblingsfloskeln. Eine davon ist das Reimpaar „wichtig und richtig“. Zu ihrem wirtschaftspolitischen Kurs zur Stützung des Euro sagt sie etwa:

Wir haben das erreicht, was wir für den Euro für wichtig und richtig halten.

Und schon im Juni hatte sie festgestellt:

Die Finanzminister haben einen Prozess begonnen, der wichtig und richtig ist.

Auch daß die Regierungsparteien noch immer zu gemeinsamen Entscheidungen fähig seien, ist, wie sie unlängst der Leipziger Zeitung anvertraut hat, „wichtig und richtig“. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf den Weg zu bringen, war ebenfalls – na, erraten Sie es? – „wichtig und richtig“.

Durch die Föderalismusreform nehme das Gewicht des Bundestages zu, sagt die Kanzlerin Und was folgert sie daraus?

Das wird auch die parlamentarische Abstimmung noch anspruchsvoller machen, was ich für sehr wichtig und richtig halte.

Die Liste ließe sich beliebig verlängern, vor allem, wenn man beobachtet, wie dieses Wort seine Kreise zieht – nicht nur Merkels Mitarbeiter (jetzt hätte ich doch fast Hofschranzen geschrieben!), sondern auch CDU-Abgeordnete, Ministerpräsidenten, alle, alle passen sich an diesen newspeak an und finden auf einmal fast alles wichtig und richtig. Ich habe sogar schon das erste Interview mit einem Fußballtrainer gelesen, in dem eine Mannschaftsaufstellung als wichtig und richtig beschrieben wurde!

Dann ist wirklich kein Halten mehr.

Aber ich wollte ja eigentlich auf etwas ganz anderes hinaus. Unsere Kanzlerin hat sich in der Affäre Wulff demonstrativ hinter den Bundespräsidenten gestellt. Das ist keine große Überraschung, denn ohne sie wäre er gar nicht Bundespräsident geworden. Wulffs Entscheidung, jedermann Einsicht in seine Akten zu gewähren, findet natürlich ihren Beifall:

Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist und richtig ist, dass heute auch bestimmte Dokumente eingesehen werden können, und dass alles für die Aufklärung getan wird.

Und dann fügt sie einen bemerkenwerten Satz hinzu:

Ansonsten hat der Bundespräsident mein vollstes Vertrauen.

Und? Haben Sie etwas gemerkt?

Es gibt Wörter, die auf den ersten Blick ganz unverdächtig aussehen, die es aber in sich haben. „Ansonsten“ habe Wulff ihr Vertrauen, sagt Merkel. Das kann einfach nur heißen: „im übrigen“. Im Großen Wahrig findet man aber auch die Bedeutung „sonst“ und „darüber hinaus“. Es ist also, wenn man so will, ein vergiftetes Wort, in dem etwas Drohendes mitschwingt, das zu dem „vollsten Vertrauen“ im Widerspruch steht.

„Jetzt klär die Sache ein für allemal auf, Christian“, so würde ich den Satz interpretieren.

Ansonsten …

Eine solche Interpretation mag dem einen oder anderen überspitzt vorkommen, aber ich halte sie für wichtig und richtig.

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