Mumbai? Kolkata? Myanmar? – Über eine Sprachdummheit der besonderen Art

Kennen Sie noch den alten Schlager „Kolkata liegt am Ganga“? Nein? Können Sie auch nicht – denn damals hieß es noch „Kalkutta“ und „Ganges“. Der Refrain lautete so:

Kalkutta liegt am Ganges,
Paris liegt an der Seine,
Doch daß ich so verliebt bin,
Das liegt an Madeleine.

In Indien sind in den letzten Jahren die fanatischen, unduldsamen Hindu-Parteien immer stärker geworden. Wo sie die Macht dazu haben, löschen sie die aus der Kolonialzeit stammenden Namen aus: aus Bangalore wird so Bengaluru, aus Mysore Mysuru, aus Bombay Mumbai, aus Madras Chennai und aus Kalkutta eben Kolkata.

Es sind fast immer fundamentalistische, radikale oder nationalistische Gruppen, die darangehen, überkommene Städtenamen auszulöschen – vorneweg natürlich die kommunistischen Parteien. So sorgte die SED dafür, daß aus Chemnitz 1953 Karl-Marx-Stadt wurde und aus Guben in der Niederlausitz Wilhelm-Pieck-Stadt Guben. Sowjetrußland hat aus St. Petersburg sofort Leningrad gemacht, aus Königsberg Kaliningrad, aus Zarizyn erst Stalingrad, dann Wolgograd, aus Bischkek Frunse. Aus Nischni Nowgorod wurde Gorki, aus Pokrowsk Engels.

Auch religiöse Gründe gab es hin und wieder – wenn etwa aus dem christlichen Byzanz das muslimische Istanbul wurde. Aus Ceylon wurde Sri Lanka und aus Saigon das unsägliche Ho-Chi-Min-Stadt.

Viel radikaler noch ging es in Polen und der Tschechoslowakei zu. Dort entfernte man nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung praktisch alle deutschen Ortsnamen. So wollte man einen Teil der Geschichte buchstäblich mit einem Federstrich auslöschen. In vielen dieser Dörfer und Städte haben seit Jahrhunderten fast nur Deutsche gewohnt. Die Umbenennung war also ein politisches Instrument, eine Machtdemonstration des Siegers über den Besiegten.

Aber Geschichte ist das, was geschehen ist, man kann sie nicht a posteriori durch einen symbolischen Akt auslöschen. Am Ende ist so etwas nicht einmal klug, und von einem gesunden Selbstbewußtsein zeugt es schon gar nicht. Wer sich wirklich mit der Geschichte beschäftigt hat, weiß, wie behutsam man mit dem umgehen muß, was sie uns hinterlassen hat. Auf revolutionären Aktionen hat noch nie ein Segen gelegen.

Und (fast) immer sind es die Radikalen, die Umstürzler, die Fanatiker, die Nationalisten, die zu solchen Mitteln greifen. Es war eine blutige Militärdiktatur, die der ganzen Welt vorschreiben wollte, daß ihr Land nun nicht mehr Burma, sondern Myanmar hieß. Es waren die französischen Revolutionäre, die tatsächlich glaubten, sie könnten einen neuen Kalender einführen, der mit der Erstürmung der Bastille beginnt. Der Kalender hatte keinen Bestand – wie sollte er auch? Die meisten Namensänderungen, die ich oben aufgezählt habe, sind schon lange wieder Geschichte.

Können wir daraus etwas lernen? Ich meine ja.

Vor allem sollten wir nicht so eilfertig sein und jede Namensänderung übernehmen. In gewisser Weise arbeiten wir durch diesen vorauseilenden Gehorsam nur fundamentalischen und fanatischen Gruppen in die Hände, mit denen wir doch sonst nichts zu tun haben wollen. Haben wir denn kein Selbstbewußtsein? Haben wir kein Gefühl für die Geschichte und die Traditionen unserer eigenen Sprache? Die Hauptstadt von China heißt auf gut Deutsch Peking – warum sollten wir das ändern, nur weil Beijing der chinesischen Aussprache der Stadt ein bißchen näherkommt? Warum sollen wir Kanton auf einmal Guangzhou nennen? Warum sollen wir uns überhaupt von China eine abenteuerliche Transkription aufzwingen lassen, die im übrigen dazu geführt hat, daß außerhalb der Sinologie fast niemand mehr genau weiß, wie er einen geschriebenen chinesischen Städtenamen aussprechen soll? Und sollen wir etwa statt Warschau jetzt Warszawa sagen oder Bucuresti statt Bukarest?

Nein – überall dort, wo es einen eingebürgerten deutschen Namen für eine Stadt gibt, sollten wir ihn in aller Regel beibehalten. Denn diese Namen gehören inzwischen zu unserer Sprache und zu unserer Kultur. Das gilt für Peking genauso wie für Bombay und Kalkutta.

PS: Unsere beiden christlichen Konfessionen streiten ja mit großer Leidenschaft gerade um Dinge, die nicht gerade zum Kernbestand des Glaubens gehören. Aber in einem sind sie sich erstaunlich schnell einig geworden: in der Abschaffung vieler der überkommenen biblischen Eigennamen. So wurde nach dem „Ökumenischen Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien“ von 1971 aus Gethsemane Getsemani, aus Noah Noach, aus Hiob Ijob, aus Kapernaum Kafarnaum, aus Golgatha Golgota und aus Genezareth Gennesaret. Warum? Das weiß (hoffentlich) der Himmel. Denn daß die Namen jetzt der hebräischen oder griechischen Aussprache ein bißchen ähnlicher sind, ist ja nun wirklich kein Grund, auf Schreibungen zu verzichten, die zu einem guten Teil schon seit Jahrhunderten zur deutschen Sprache gehören. Auch hier fehlt jedes Gespür für den Wert der eigenen sprachlichen Tradition.

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