Der Völkermord am armenischen Volk

Ja, es war ein Völkermord, auch wenn die Türkei immer einmal wieder ein paar Pseudowissenschaftler durch Europa touren läßt, die den Spieß einfach umdrehen und die Mörder zu Opfern machen. Die versuchte Ausrottung des alten christlichen Volkes der Armenier ist so gut belegt wie der Mord an den europäischen Juden – beides kann man nur leugnen, wenn man entweder böswillig oder nicht ganz bei Verstand ist.

Die offizielle Türkei (mit ihr natürlich auch große Teile des türkischen Volkes!) leugnet diese dunkle Vergangenheit bis heute. Sie läßt eine freie öffentliche Diskussion darüber nicht zu, im Gegenteil: wer an das Tabu rührt, muß auch im Jahr 2011 mit seiner Verhaftung rechnen.

Der Verleger Ragip Zarakolu, ein „hochangesehener Intellektueller aus Istanbul“, wie Regina Mönch in der gestrigen F.A.Z. schreibt (unbedingt lesen! – der Artikel ist online hier verfügbar), dieser Verleger also wurde noch am Flughafen verhaftet, als er zu uns nach Deutschland kommen wollte, um einen Vortrag über das türkische Tabuthema zu halten. Die neuen Anti-Terror-Gesetze lieferten jetzt den Vorwand zu seiner Verhaftung (früher war es die „Beleidigung des Türkentums“).

Mit dem Verleger wurden achtundvierzig kritische Intellektuelle verhaftet, darunter auch die Verfassungsrechtlerin Büsra Ersanli (Marmara-Universität).

Aber das ist nur Teil einer viel größeren Verhaftungswelle, mit der die Regierung Erdogan mißliebige Mitbürger – und vor allem das alte kemalistische Establishment! – zum Schweigen bringen will. Die Begründungen der Gerichte sind oft geradezu absurd – „Verschwörungen“ gegen die Regierung sind ein beliebtes Delikt, und wer allen Ernstes meint, diese Türkei gehöre in die Europäische Union, sollte einmal genau hinsehen, wie sich hier die formal unabhängigen türkischen Gerichte in der Praxis zum Büttel der Regierung machen. Es ist immer das gleiche: Demokratie herrscht nur da, wo die Presse wirklich frei und die Justiz wirklich unabhängig ist.

Immerhin: auch in der Türkei gibt es mutige Menschen, die es wagen, die Wahrheit auszusprechen.

Die Historikerin Ayse Gül Altinay (Sabanci-Universität Istanbul) forscht seit Jahren zu den überlebenden Frauen des Völkermords von 1915. Deren Enkel brechen wie Cetin das Schweigen und holen diese vergessene Gruppe ans Licht: Viele Frauen und Kinder wurden nach dem Morden und den Deportationen vergewaltigt, als Lust- oder Zweitfrauen in muslimische Familien oder Waisenhäuser gesteckt und dort zu wahren Türken umerzogen. Die erzwungene „Assimilation“ ging einher mit Zwangsislamisierung, Zwangsverheiratung – Auslöschung durch Konversion nennt Altinay diese Tragödie. Ein noch kaum erforschtes Kapitel des Völkermordes und des türkischen Nationalismus, das aber ahnen lässt, warum, bewusst oder unterbewusst, „Assimilation“ für türkische Politiker und deutschtürkische Großfunktionäre ein Kampfbegriff ist.

Die Türkei, so der Chefredakteur der von Hrant Dink gegründeten Zeitschrift Agos, bräuchte einen Willy Brandt, um mit sich ins Reine zu kommen.

Aber sie hat nur einen Erdogan.

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