Alle Pogrome fangen damit an, daß man Menschen verbal vernichtet. Man macht sie zu Untermenschen, zu Parias, man verspottet sie, man nimmt ihnen erst einmal die Würde, bevor man ihnen an die Kehle geht. Wenn man das lange genug gemacht hat, verschwinden alle Hemmungen.
Jeder weiß, wie dünn und zerbrechlich das ist, was wir Zivilisation oder Humanität nennen.
Die Bildzeitung hat eine lange und schlimme Tradition in der systematischen Hetze gegen Menschen und gesellschaftliche Gruppen. In den 60er Jahren waren es „Studenten“, „Gammler“ und „Langhaarige“, heute sind es die Griechen. In der Donnerstagausgabe heißt es in Riesenbuchstaben auf Seite eins:
Nehmt den Griechen den Euro weg!
Jetzt reicht es uns! Wir bürgen für Hunderte Milliarden Euro – und dort soll erst eine Volksabstimmung klären, ob überhaupt gespart wird.
Hier wird – man kennt es von dem Blatt – dem Pöbel nach dem Munde geredet, damit die Auflage steigt.
Denn der großen Mehrheit der einfachen Griechen, das wissen selbst die Bild-Redakteure, ist es seit Einführung des Euro schlechter, viel schlechter gegangen als mit der guten alten Drachme. Die Gehälter sind (bestenfalls!) gleichgeblieben, die Preise haben sich bei vielen Produkten verdoppelt. Und genau die, die schon damals die Opfer waren, sollen jetzt wieder bluten. Die sog. „Sparmaßnahmen“, die ihnen von den reichen Ländern aufgezwungen werden, sind buchstäblich vernichtend. Hier wird ein eine ganze Volkswirtschaft totgespart, statt ihr allmählich wieder auf die Beine zu helfen. Und warum? Weil es den Europäern gar nicht um die griechische Bevölkerung geht. Man will nur die Finanzwelt und die „Märkte“ gnädig stimmen, man will sich die Gunst der Ratingagenturen erkaufen. Es ist, ich wiederhole es, eine klassische Sündenbockpolitik, man schlägt auf die Griechen ein, weil die eigentlichen Schuldigen, die in der Wall Street, in den Banken und an der Börse sitzen, so mächtig geworden sind, daß offenbar nicht einmal die reichsten Länder der Welt ihre Macht beschränken können – wenn sie es denn überhaupt wollen.
Aber das haben sie sich doch selbst eingebrockt, die Griechen! – werden manche sagen. Natürlich sind sie nicht ganz unschuldig an den Problemen, sie haben Fehler gemacht. Aber daß die Sache so groß geworden ist, daß jetzt, wie manche schreiben, Europa am Abgrund steht, nur weil die Griechen falsche Haushaltszahlen übermittelt haben, das ist ein Stück aus dem Tollhaus.
Und daß sich die ganze Wut der europäischen Politiker gegen den griechischen Ministerpräsident richtet, weil der über ein Gesetzespaket, das sein Land wirtschaftlich ruiniert, ein Referendum abhalten will, ist beschämend. Hier muß, wie es auch Frank Schirrmacher von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kürzlich gefordert hat, eine grundsätzliche Debatte über die Demokratie einsetzen. Schirrmacher schreibt (hier nachzulesen):
Wer das Volk fragt, wird zur Bedrohung Europas. Das ist die Botschaft der Märkte und seit vierundzwanzig Stunden auch der Politik. Wir erleben den Kurssturz des Republikanischen.
Wenn es schon so weit ist, daß sich die kollektive Wut gegen einen richtet, der etwas so Urdemokratisches wie ein Referendum plant, dann haben wir allen Anlaß zur Sorge. Was uns Merkel, Sarkozy, Berlusconi & Co. jetzt bieten, ist – so Schirrmacher – „das Schauspiel einer Degeneration jener Werte und Überzeugungen, die einst in der Idee Europas verkörpert schienen.“
„Der Wille des Volkes ist bindend“, hatte Papandreou gesagt. Auf diesen Satz des Griechen (und damit will ich ein letztes Mal aus dem klugen Artikel von Schirrmacher zitieren)
reagieren der angeblich vorbildlich sparsame Bundesbürger und seine Politiker mit Panik – aber nur deshalb, weil die Finanzmärkte mit Panik reagieren. Sie alle haben sich zu Gefangenen der Vorwegnahme von Erwartungen gemacht, die an den Finanzmärkten gehegt werden. Man schaue sich an, wo wir hingekommen sind: Worte wie die von Papandreou können jetzt als gemeingefährlich gelten.
Es lohnt sich, über diese Sätze einmal nachdenken. Vor allem jene sollten es tun, die nur noch geifern und an den Griechen ihr Mütchen kühlen.