Die ganze Zeit – als es nämlich noch möglich gewesen wäre, die Katastrophe zu vermeiden und den dilettantischen Umstieg auf die Windenergie zu verhindern – haben uns die Regierung und praktisch alle Parteien immer wieder dasselbe Märchen erzählt: daß die „Energiewende“ fast zum Nulltarif zu haben ist. Ich habe die einschlägigen Sätze schon mehrfach zitiert, jetzt muß es – aus gegebenem Anlaß – leider schon wieder sein.
Umweltminister Röttgen sagte noch im April bei Maybrit Illner, der Umstieg auf erneuerbare Energien werde nur zu “leichten Strompreiserhöhungen” führen, alles bleibe “in überschaubarem Rahmen”. Bärbel Höhn nannte die Angst vor massiv erhöhten Strompreisen „hysterisch“. Und der niedersächsische Ministerpräsident McAllister setzte allem die Krone auf: „Wind, Sonne und Wasser schicken keine Rechnung.“
Jetzt hat die Europäische Kommission ein Strategiepapier zur EU-Energiepolitik entworfen, das den privaten Haushalten massive Preiserhöhungen prophezeit. Bis zum Jahr 2030 sollen sich die Ausgaben der privaten Haushalte für die Versorgung mit Energie verdoppeln. Dann wird ein Durschschnittshaushalt 15 % des Einkommens (!) allein für die Energieversorgung aufwenden müssen. Solche Nachrichten werden meist im Wirtschaftsteil der Zeitungen versteckt (heute zum Beispiel hier), während das grüne Märchen von der sanften, natürlichen und fast kostenlosen Windenergie in aller Munde ist.
„Vor allem“, so kommentiert Hendrik Kafsack von der F.A.Z. den EU-Bericht, „treibt die Umstellung der Energieversorgung den Strompreis nach oben“. Und er fügt hinzu:
Angesichts dieser Zahlen muss sich die EU fragen lassen, ob sie sich diese Klimaschutzpolitik überhaupt leisten will und kann. Davor aber drückt sich die EU-Kommission. Wie sich die Energiekosten ohne Klimaschutz entwickeln würden, hat sie vorsichtshalber nicht analysiert.
Und warum nicht? Weil alles, was die EU und unsere Regierungen machen, neuerdings – kaum daß es beschlossen ist – sofort als alternativlos und unumkehrbar bezeichnet wird. Beobachten Sie das einmal, Sie werden auf diese Wörter immer wieder stoßen! Es ist eigentlich ein ganz plumper Trick, aber er funktioniert.
Die Energiewende – ohne Alternative! Der Ausstieg aus der Atomenergie – natürlich unumkehrbar! Die Rettung der Banken aus Steuermitteln, die Milliarden für verschuldete Länder – ebenfalls völlig alternativlos! Auch Stuttgart 21 war alternativlos, die Windräder in den Mittelgebirgen sind es auch, alles, aber auch wirklich alles, was uns die Regierung vor die Nase setzt, ist heutzutage alternativlos.
Sogar die Kanzlerin selbst ist alternativlos.
Auf diese Weise räumt man die (natürlich immer vorhandenen!) Alternativen elegant, nämlich auf rein sprachlichem Weg, beiseite. Es gibt sie nicht, basta!
Das hat für die öffentliche Diskussion beträchtliche Konsequenzen, denn so werden gerade die ganz großen, wichtigen Entscheidungen in unserem Land nicht mehr ernsthaft diskutiert. Sie sind eben – alternativlos.
Wenn ich an die 50er, 60er und 70er Jahre zurückdenke – da sind alle großen Entscheidungen, von der Wiederbewaffnung bis zur Ostpolitik, lange und gründlich abgewogen worden. Die Diskussion darüber hat überall stattgefunden, in den Familien, den Schulen, in den Parteien, und natürlich im Bundestag! Wer die Parlamentsdebatten damals erlebt hat, die oft mit großer Heftigkeit, mit Herzblut, aber auch auf einem heute kaum mehr vorstellbaren sprachlichen Niveau geführt wurden, der weiß, wie wichtig es ist, daß die Alternativen zur herrschenden Meinung laut und deutlich artikuliert werden.
Diese Zeit der großen Debatten endet mit der Ära Kohl. Die Wiedervereinigung selbst mußte schnell und ohne ausufernde Diskussion durchgeführt werden, denn das „Zeitfenster“, wie man es heute nennt, war nicht groß. Es ist das historische Verdienst von Kohl, daß er das erkannt und dann energisch und fast kaltblütig gehandelt hat.
Aber alles, was dann folgte, also die „Abwicklung“ der DDR, ist schon mehr oder weniger schnell von oben nach unten durchgewinkt worden. Auch über Schröders Agenda 2010, über die Abschaffung der Wehrpflicht und über Merkels fast handstreichartigen Ausstieg aus der Atomenergie gab es keine großen gesellschaftlichen Debatten mehr. Über kleinere Dinge, wie das Rauchverbot in Kneipen, läßt man den Souverän hin und wieder abstimmen, aber was wirklich für die Zukunft bedeutsam ist, wird dem Bürger – mit dem Hinweis, daß die Willensbildung ja in den Parteien stattfinde – einfach aufoktroyiert.
Als ob die innerparteilichen Diskussionen ein Ersatz für die breite gesellschaftliche Debatte wären!