„Stoppt die Gier!“

Das war eines der vielen Plakate, die Demonstranten gestern bei ihren Protesten gegen die gewissenlose Finanzwelt trugen.

Endlich! – endlich kommt die Protestwelle gegen die moralisch heruntergekommene, verantwortunglose Banker- und Anlegerwelt in Gang. Mit einer gezielten Pressemeldung oder einer Herabstufung stürzen sie Firmen, ja ganze Staaten ins Unglück, ohne die Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen. Sie sind berauscht von ihrer Macht – und genau diese Macht muß man ihnen nehmen. Die Regierungen tun es nicht, sie tasten die wahren Schuldigen nicht an – im Gegenteil! Sie bieten uns nur Prügelknaben an. Schlagt die Griechen! rufen sie, oder: haut die Italiener! Gleichzeitig geben sie den Banken praktisch einen Blankoscheck. So haben die G-20-Staaten gerade verlangt, man müsse „sicherstellen, daß Banken angemessen mit Kapital versehen werden und ausreichenden Zugang zu Finanzierungsmitteln haben“. Das heißt auf gut Deutsch: egal wie verantwortungslos diese „Banker“ handeln, wie hemmungslos sie ihre Gier ausleben (mit dem Geld ihrer Kunden!), sie bekommen eine staatliche Garantie, daß notfalls der Steuerzahler für ihre Eskapaden einspringt.

Da ist es richtig erfrischend, daß die Menschen jetzt auf die Straße gehen und gegen die real killers, gegen die Wall Street und die Ableger in den anderen Ländern protestieren. Occupy Wall Street – das war der Schlachtruf eines kleinen Häufleins von Menschen, die den Kampf mit diesem offenbar völlig amoralischen, von Allmachtsphantasien berauschten Menschenschlag in der Finanzwelt aufnehmen wollten. Der New Yorker Bürgermeister ließ viele von ihnen in Handschellen abführen. Aber die Bewegung hat sich fast explosionsartig ausgebreitet – weil sie einen Nerv getroffen hat. Die Menschen haben die Nase voll von diesen Bürschchen aus den Eliteuniversitäten, für die das Schicksal von Millionen Menschen nur eine Art Monopoly- oder Computerspiel ist.

Etwa 40.000 sind gestern in Deutschland auf die Straße gegangen, in Lissabon 50.000, in Rom 200.000. Überall auf der Welt haben die Menschen gegen die Finanzspekulanten protestiert: in den USA natürlich, aber auch in Hongkong, Manila, Tokio, Seoul und Sydney.

So viele Handschellen hat nicht einmal das New York Police Department, daß es die Bewegung damit noch stoppen könnte.

„Eine wirkliche Massenbewegung ist dies noch nicht“, schreibt Carsten Volkery vom Spiegel und fügt zynisch hinzu: „99 Prozent blieben zu Hause.“

Dabei sollte man doch meinen, daß auch ein Spiegel-Redakteur rechnen kann. Wenn am 17. September – also vor grade einmal vier Wochen! – ein kleines Häuflein von Demonstranten, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, zur Wall Street gezogen ist und heute, einen Monat später, daraus Hunderttausende auf allen Kontinenten geworden sind, dann muß man schon die Wirklichkeit durch eine ganz besondere (verspiegelte?) Brille sehen, um zu solchen Schlagzeilen zu kommen.

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