EU-Erweiterungen – oder: Big is beautiful

Die Europäische Union (EU) war im Prinzip eine gute Sache – bis man sie ohne Sinn und Verstand aufgebläht hat. Jahrzehntelang hat man die Zahl der Mitgliedsstaaten nur behutsam und mit Augenmaß vergrößert: zu den sieben Gründungsstaaten, die 1957 die Römischen Verträge unterzeichneten, traten 1973 Großbritannien, Irland und Dänemark hinzu, 1981 folgte Griechenland, 1986 Spanien und Portugal, 1995 Schweden, Finnland und Österreich. Schon an den langen Zeiträumen bis zur jeweils nächsten Erweiterung kann man erkennen, daß bis in die 90er Jahre hinein wohlüberlegt gehandelt wurde.

Aber dann! Unter Kanzler Schröder wurden 2004 auf einen Schlag gleich zehn neue Staaten in die EU aufgenommen (Polen, Tschechien, Slowenien, Ungarn, die Slowakei, die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, dazu noch Malta und Zypern). Zehn auf einen Streich! Es liegt auf der Hand, daß man da nicht mehr von Augenmaß und Behutsamkeit sprechen kann – da sollte um jeden Preis und so schnell wie möglich das ganze Osteuropa in die EU einbezogen werden. Man hat diese Staaten, die eine ganz andere Geschichte und Kultur haben, nicht langsam an Europa herangeführt, sondern ohne viel Federlesens aufgenommen. Irgendwie wird es schon gehen, hat man wohl gedacht (wenn man überhaupt nachgedacht hat). Daß unter Merkel auch noch Bulgarien und Rumänien mit ihren zum Teil korrupten Strukturen hereingebeten wurden, kann niemanden mehr verwundern.

Die unbedachte Erweiterung – unter dem Motto: möglichst viele neue Staaten in möglichst kurzer Zeit! oder: big is beautiful – war der große Sündenfall der Europäischen Union. Fast alle Probleme, an denen die EU heute leidet, gehen darauf zurück. Nicht daß einzelne Länder über ihre Verhältnisse gelebt haben, bereitet uns heute Schwierigkeiten, sondern die strukturelle Unfähigkeit, in einer so großen und dazu heterogenen Gemeinschaft zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen.

Das ist nicht anders als im ganz normalen Leben. Da, wo sieben oder zehn Leute an einem Tisch sitzen, die sich kennen und miteinander vertraut sind, läßt sich fast jedes Problem lösen. Wenn es (wie heute in der EU) siebenundzwanzig sind, braucht man schon einen Konferenzsaal, und es bilden sich kleine Grüppchen, die gegen andere Gruppen agitieren, und es entstehen die kleinen und großen Animositäten und Feindseligkeiten, die das Klima vergiften. Es ist tatsächlich immer auch eine Frage der Zahl!

Angesichts dieser Probleme ist es mehr als fahrlässig, daß man der Türkei auch heute noch Hoffnungen macht, Vollmitglied der EU zu werden. Und es ist nicht weniger fahrlässig, daß die EU-Kommissare mit der Erweiterung munter fortfahren: Kroatien wird noch im Dezember aufgenommen, Serbien und Montenegro sollen bald folgen. Auch Albanien, das Kosovo und Bosnien-Hercegovina drängen in die EU.

Die Empfehlung für Serbien wird mit den „politischen und wirtschaftlichen Fortschritten des Landes“ begründet. Solche Fortschritte sind schön für das Land (und auch für seine Nachbarn), aber wollen wir jetzt jedes Land, das solche Fortschritte macht, in die EU aufnehmen? Das ist eine Logik, die mir nicht einleuchtet. Serbien und Montenegro mögen heute ein bißchen berechenbarer und friedlicher sein als vor zehn Jahren – aber wie wird es morgen oder übermorgen aussehen? Die Vorstellung, daß sich in diesen Ländern demokratische Strukturen entwickeln, nur weil sie EU-Mitglieder sind, scheint mir mehr als naiv.

Unter der rot-grünen Regierung sind alle europäischen Schleusen geöffnet worden. Das war tatsächlich der Sündenfall. Denn jetzt traut sich keine Regierung mehr, einem Land, wenn es nur ein bisserl demokratisch ist, den Zutritt zu verwehren – das wäre ja diskriminierend. Die Probleme in Europa werden dadurch immer größer werden, das Risiko steigt mit jedem Land, das leichtfertig aufgenommen wird.

Eigentlich wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen, die Völker Europas erst einmal zu fragen, ob sie diese amöbenhafte Erweiterung, das Ausufern und Ausfransen des „alten“ Europa an seinen Rändern auch wollen. Das hat man nicht getan – weil man wußte, wie eine solche Befragung ausgehen würde.

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