Kleine Geschichte des Wortes „Neger“ (2)

Teil 1 dieser kleinen Wortgeschichte finden Sie hier.

Einzelne Belege für das Wort Neger findet man vereinzelt schon im 17. Jahrhundert, etwa bei dem schlesischen Dichter Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts werden die Belege häufiger, nicht nur in der Dichtung, sondern auch in Sach- und Reisebüchern. So heißt es etwa in der deutschen Übersetzung von Pomets Histoire générale des drogues, die 1717 erschienen ist:

Die Tamarindenbäume wachsen zu Senega sehr häuffig: dererselben Früchte machen die Neger zu Kuchen, wenn sie zuvor die Kerne und das fasichte Wesen heraus gethan, und bedienen sich ihrer gemeiniglich zu Löschung des Durstes.

Im Vollständigen Kaufmanns-Lexicon von Carl Günther Ludovici (1756) geht es um die Insel St. Thomas (heute São Tomé) im Golf von Guinea:

Und ungeachtet also die Portugiesen die ersten gewesen sind, die solche bewohnet und angebauet haben: so befinden sich doch itziger Zeit die Negers in grösserer Anzahl daselbst, als die Portugiesen.

Der Plural „Negers“ (oder „Negern“) war damals übrigens weit verbreitet. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist das Wort „Neger“ dann so oft belegt, daß man einzelne Stellen nicht mehr zitieren muß. Wer danach sucht, dem sei das überaus verdienstvolle Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache empfohlen, dessen bis ins Jahr 1600 zurückgehende Textkorpora mit 67 Milliarden Belegen eine wahre Fundgrube sind.

Von Johann Gottfried Herder (1744-1803) wollen wir dieses (menschenfreundliche!) Zitat aus seinen Briefen zur Beförderung der Humanität (Zehnte Sammlung, 1797) hinzufügen:

Was endlich ist von der Kultur zu sagen, die von Spaniern, Portugiesen, Engländern und Holländern nach Ost- und Westindien, unter die Neger nach Afrika, in die friedlichen Inseln der Südwelt gebracht ist? Schreien nicht alle diese Länder, mehr oder weniger, um Rache? Um so mehr um Rache, da sie auf eine unübersehliche Zeit in ein fortgehend wachsendes Verderben gestürzt sind. Alle diese Geschichten liegen in Reisebeschreibungen zutage; sie sind bei Gelegenheit des Negerhandels zum Teil auch laut zur Sprache gekommen. Von den spanischen Grausamkeiten, vom Geiz der Engländer, von der kalten Frechheit der Holländer, von denen man im Taumel des Eroberungswahnes Heldengedichte schrieb, sind in unsrer Zeit Bücher geschrieben, die ihnen so wenig Ehre bringen, daß vielmehr, wenn ein europäischer Gesamtgeist anderswo als in Büchern lebte, wir uns des Verbrechens beleidigter Menschheit fast vor allen Völkern der Erde schämen müßten. Nenne man das Land, wohin Europäer kamen und sich nicht durch Beeinträchtigungen, durch ungerechte Kriege, Geiz, Betrug, Unterdrückung, durch Krankheiten und schädliche Gaben an der unbewehrten, zutrauenden Menschheit, vielleicht auf alle Äonen hinab, versündigt haben! Nicht der weise, sondern der anmaßende, zudringliche, übervorteilende Teil der Erde muß unser Weltteil heißen; er hat nicht kultiviert, sondern die Keime eigner Kultur der Völker, wo und wie er nur konnte, zerstöret.

Bei Goethe und Schiller finden sich erstaunlicherweise nur ganz wenige Belege für das Wort. Über ein Singspiel, an dem er gerade arbeitete, schreibt Goethe am 26. Januar 1786 in einem Brief an Frau von Stein:

Meine arme angefangne Operette dauert mich, wie man ein Kind bedauern kann, das von einem Negersweib in der Sclaverey gebohren werden soll.

Ein anderes Zitat über die Engländer und den Sklavenhandel findet sich in seinen Gesprächen mit Eckermann (1. September 1829):

Während aber die Deutschen sich mit Auflösung philosophischer Probleme quälen, lachen uns die Engländer mit ihrem großen praktischen Verstande aus und gewinnen die Welt. Jedermann kennt ihre Declamationen gegen den Sclavenhandel, und während sie uns weismachen wollen, was für humane Maximen solchem Verfahren zu Grunde liegen, entdeckt sich jetzt, daß das wahre Motiv ein reales Object sei, ohne welches es die Engländer bekanntlich nie thun, und welches man hätte wissen sollen. An der westlichen Küste von Afrika gebrauchen sie die Neger selbst in ihren großen Besitzungen, und es ist gegen ihr Interesse, daß man sie dort ausführe. In Amerika haben sie selbst große Negerkolonien angelegt, die sehr productiv sind und jährlich einen großen Ertrag an Schwarzen liefern. Mit diesen versehen sie die nordamikanischen Bedürfnisse, und indem sie auf solche Weise einen höchst einträglichen Handel treiben, wäre die Einfuhr von außen ihrem mercantilischen Interesse sehr im Wege, und sie predigen daher nicht ohne Object gegen den inhumanen Handel.

Werfen wir nun noch einen letzten Blick auf die Goethezeit. Heinrich von Kleist (1777-1811) hat eine Novelle geschrieben, die so beginnt:

Zu Port au Prince, auf dem französischen Anteil der Insel St. Domingo, lebte, zu Anfang dieses Jahrhunderts, als die Schwarzen die Weißen ermordeten, auf der Pflanzung des Herrn Guillaume von Villeneuve, ein fürchterlicher alter Neger, namens Congo Hoango. Dieser von der Goldküste von Afrika herstammende Mensch, der in seiner Jugend von treuer und rechtschaffener Gemütsart schien, war von seinem Herrn, weil er ihm einst auf einer Überfahrt nach Cuba das Leben gerettet hatte, mit unendlichen Wohltaten überhäuft worden. Nicht nur, daß Herr Guillaume ihm auf der Stelle seine Freiheit schenkte, und ihm, bei seiner Rückkehr nach St. Domingo, Haus und Hof anwies; er machte ihn sogar, einige Jahre darauf, gegen die Gewohnheit des Landes, zum Aufseher seiner beträchtlichen Besitzung, und legte ihm, weil er nicht wieder heiraten wollte, an Weibes Statt eine alte Mulattin, namens Babekan, aus seiner Pflanzung bei, mit welcher er durch seine erste verstorbene Frau weitläuftig verwandt war. Ja, als der Neger sein sechzigstes Jahr erreicht hatte, setzte er ihn mit einem ansehnlichen Gehalt in den Ruhestand und krönte seine Wohltaten noch damit, daß er ihm in seinem Vermächtnis sogar ein Legat auswarf; und doch konnten alle diese Beweise von Dankbarkeit Herrn Villeneuve vor der Wut dieses grimmigen Menschen nicht schützen. Congo Hoango war, bei dem allgemeinen Taumel der Rache, der auf die unbesonnenen Schritte des National-Konvents in diesen Pflanzungen aufloderte, einer der ersten, der die Büchse ergriff, und, eingedenk der Tyrannei, die ihn seinem Vaterlande entrissen hatte, seinem Herrn die Kugel durch den Kopf jagte.

Und, kennen Sie diese Novelle? Sie heißt „Die Verlobung in St. Domingo“ und ist spannender als mancher „Thriller“ unserer Zeit.

Fortsetzung folgt!

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