Das schreibt – natürlich auf ZEIT Online – eine gewisse Meret Weber. Man reibt sich die Augen, nein: man riebe sich die Augen, wenn man nicht wüßte, wohin es mit der ZEIT und ihrer Online-Ausgabe gekommen ist. Wenn man in meinem Alter ist (also über siebzig), hat man die ZEIT noch in allerbester Erinnerung: es war nicht nur eine im besten Sinne liberale Wochenzeitung, sie wurde auch von stilistisch und sprachlich herausragenden Journalisten geschrieben. Das sind immer noch klangvolle Namen: Marion Gräfin Dönhoff, Theo Sommer, Robert Leicht – nicht zu vergessen Wolfram Siebeck mit seiner kulinarischen Kolumne im ZEIT-Magazin. Überhaupt: das ZEIT-Magazin! Nur eine Beilage, aber großartiger Journalismus in Wort und Bild, elegant, stilprägend und von keinem der Nachahmer erreicht.
Selbst wenn man mit dem Inhalt eines Kommentars nicht einverstanden war, entschädigte den Leser der gediegene Stil. Und heute?
Schauen Sie sich einmal (hier nachzulesen) den Beitrag von Meret Weber an. Während Hunderttausende ihr Leben riskieren, um nach Deutschland zu kommen, malt sie ein düsteres Zerrbild unseres Landes, fast so, als säßen die „migrantischen Menschen“ alle auf gepackten Koffern. Zum Beispiel 2015: die damals im ganzen Land verbreitete, fast überschwengliche Aufnahme der Flüchtlinge, an der sich unzählige ehrenamtliche Helfer bis an die Grenze ihrer Kraft beteiligten, verfälscht sich bei ihr zu dieser Szene:
Ich sah, wie die vereinzelten migrantischen Familien aus dem ICE oder der Regionalbahn gezogen wurden, wie Bundespolizist:innen in der Grenzregion zwischen Bayern und Österreich auf Sprachbarrieren mit Aggression reagierten, wie die restlichen Fahrgäste zu stillen Kompliz:innen wurden. Ihren selbst erhöhenden, stechenden Blick. Diese Schadenfreude, wenn sich tatsächlich jemand nicht ausweisen konnte.
Die Flüchtlinge sind 2015 also mit dem ICE von Österreich nach Bayern gefahren? Und durch und durch böse „Bundespolizist:innen“ haben sie aus dem Zug gezogen, während die anderen Fahrgäste voller Schadenfreude und mit einem „selbst erhöhenden, stechenden Blick“ zugeschaut haben?
Was für ein billiger Kitsch! Und was für ein miserables Deutsch! Hätte ein Volontär früher so einen Text eingereicht, der Redakteur hätte ihm diesen Schmarrn um die Ohren gehauen. Nichts daran ist wahr, nichts ist echt, und das Deutschland, das Weber zeichnet, mit seinen bösen, rassistischen Menschen, wo „Geflohene“ keinen „sicheren Hafen“ mehr haben, wo alle nur noch das Weite suchen möchten, um den „hassenden Blicken und Anfeindungen“ zu entgehen – dieses Deutschland ist ein Hirngespinst der Autorin, das mit der deutschen Wirklichkeit von 2015 und mit der Wirklichkeit von 2023 nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Wer mag, kann sich hier andere Artikel von Meret Weber zu Gemüte führen und sehen, wie sie alles, was ihr nicht gefällt, bis ins Absurde aufbläht („Zwei Männer of Color erzählen, wie sie von weißen Menschen fetischisiert wurden“) und wie sie etwa die Angriffe türkischer und arabischer Männer auf junge Frauen in Berliner Schwimmbädern herunterspielt und zu einem abstrakten Problem der Gesellschaft macht („immer wieder müssen migrantische Jugendliche für größere gesellschaftliche Probleme herhalten, sei es in Schwimmbädern oder an Silvester“). Daß sie dann auch noch energisch verlangt, „keine Tränen für die Queen“ zu vergießen – geschenkt.
Auch ihr Deutsch ist schauderhaft, etwa wenn sie von
Bundespolizist:innen
Kompliz:innen
Staatsbürger:innen
Brit:innen
Amerikaner:innen
Influencer:innen
und – als Höhepunkt – von einem Freund:innenkreis spricht. Soviel fürs erste über den Zustand der ZEIT im Oktober des Jahres 2023.