Gestern lief im Hessischen Fernsehen noch einmal die Dokumentation „Wandern auf dem Grimmsteig“, eine Wiederholung aus dem Jahr 2018. Drei Wanderer, der Horst, die Ingrid und die Annabelle, werden auf den fünf Tagesetappen von Wanderführer Daniel von Trausnitz durch das nordhessische Bergland geführt. Die Stimmung erinnert ein bißchen an einen Klassenausflug, mit viel Kichern und Blödeln, aber das kennt man ja inzwischen: die Menschen wollen heutzutage partout nicht erwachsen werden.
Nur einmal kommt ein gewisser Ernst in die Gespräche. Auf der dritten Etappe stehen die Wanderer plötzlich vor 15 riesigen Windkraftanlagen, viele von ihnen mitten in einem Naturschutzgebiet. Direkt vor ihnen. Daniel von Trausnitz, der Wanderführer, findet das nicht gut. Er sei ja per se für alternative Energien, aber man hätte da andere Wege finden können. Und als habe er gemerkt, daß man das – um Himmels willen! – als Kritik an der Energiewende deuten könnte (was im tiefgrünen Hessischen Rundfunk gar nicht geht!), fügt er schnell hinzu: „nicht andere Wege als die Windkraft, aber nen anderen Weg, als den Windpark in das Naturschutzgebiet zu stellen“. Und er sagt:
Da macht man ein Naturschutzgebiet plötzlich zum Industriegebiet.
Dem Horst gefallen solche Sätze überhaupt nicht. Während der Wanderführer weiterredet, sieht man mehrfach, wie der Horst seine Stirn in Falten legt. Da hat man im Schneideraum ganze Arbeit geleistet.
Eine der beiden Wandersfrauen fragt naiv, als sei sie gerade eingeschult worden: „Was gibt’s denn für Alternativen?“ Im Hessischen Rundfunk gibt es zum Ausbau der Windenergie natürlich keine Alternative, da wird auch noch der letzte Aktivist vors Mikrofon geholt, um sein Sprüchlein aufzusagen. Aber der Wanderführer ist hartnäckig. Man könne die Windräder zum Beispiel an Autobahnen bauen, wo schon eine Infrastruktur da sei. Aber in Regionen, die vom Tourismus lebten, im Werra-Meißner-Kreis etwa oder im Geo-Naturpark, da fände er das schon schwierig.
„Schwierig“ – also milder kann man das kaum ausdrücken. Aber dem Horst reicht’s jetzt, und mit einem einzigen Satz fegt er alles hinweg, was der Wanderführer gesagt hat:
Aber jeder, der hier ein Zimmer bucht, will ja eine Steckdose im Zimmer haben.
Ein Satz wie ein Donnerschlag! Da kann selbst der Wanderführer nur noch „Das ist richtig, das ist richtig“ murmeln. Denn in diesen entlegenen Landstrichen des hessischen Nordens gab es bis vor kurzem weder Strom noch fließend Wasser; was eine Steckdose ist, das wußte hier niemand. Man lebte dahin wie im Auenland, bis – ja, bis nette Männer in Arbeitsanzügen kamen und mitten in den Wäldern große Windräder aufstellten. Und so kam es, daß sich bald in jedem Haus in Nordhessen eine Steckdose befand. In manchen sogar mehrere! Gesegnete Windkraft!
Und während die Wanderer weitergehen, hört man, wie eine der Frauen die im Keim erstickte (oder im Schneideraum moderierte) Diskussion versöhnlich so zusammenfaßt;
Es hat alles seine zwei Seiten im Leben, wie immer, oder?
Erledigt. Sie wandern weiter. Dann erfährt man noch, daß allein am Rand des Grimmsteigs mehr als 45 große Windräder stehen, mindestens zwölf weitere seien in Planung.
Wie heißt es doch auf www.grimmsteig.de? Die Wanderung auf dem Grimmsteig sei
eine interessante und landschaftlich sehr reizvolle Tour, die den „Weg“ zu erneuerbaren Energien mit einer tollen Wanderung durch das Märchenland der Brüder Grimm verbindet.
Und die haben ja auch Märchen erzählt, die Brüder Grimm.