In der Reihe ZDF-History lief vor einigen Tagen die Folge „Hitlers Helfer auf der Couch – Der Psychologe von Nürnberg“. Darin will der Sender folgende Frage klären:
Wie tickten die Nazis?
Eine solche Formulierung wäre bis vor ein, zwei Jahrzehnten undenkbar gewesen – nicht nur, weil die flapsige Formulierung dem Thema ganz und gar nicht angemessen ist, sondern vor allem, weil man damals noch zwischen der Alltags- und der Hochsprache unterschieden hat. Diesen Unterschied zu kennen und auch praktisch einzuhalten, ist ein Teil unserer Kultur. Man redet daheim, unter Freunden oder auf dem Schulhof anders als bei einem formelles Anlaß, und erst recht verbietet sich die Umgangssprache, wo man einen gedruckten Text verfaßt.
Wie kommt es also zu einem solchen Satz im quasi offiziellen Text des ZDF zur eigenen Sendung?
Die Bedeutung der Sprache, genauer gesagt: der Wert, den man ihr als einer der Säulen der Kultur beimißt, ist in Deutschland seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kontinuierlich zurückgegangen. Damals hat man damit begonnen, in den Schulen nicht mehr Literatur, sondern „Texte“ zu interpretieren. Das sieht auf den ersten Blick wie eine erwünschte Weitung des Horizonts aus, war aber in Wirklichkeit eine Relativierung der echten Literatur im Verhältnis zu Alltagstexten wie Zeitungsartikeln oder Flugblättern. Hesses Glasperlenspiel wurde auf eine Stufe mit einem Kommentar in der Bildzeitung gestellt, es gab keine Unterscheidung der Qualität mehr, keinen Rang, keine Abstufung. Es gab nur noch Texte, und der echten Literatur begegnete man mit Mißtrauen. Eine der absurdesten Blüten dieser „Demokratisierung“ der Kultur war der Bitterfelder Weg in der DDR, wo man mittels einer „Bewegung schreibender Arbeiter“ aus dem Proletariat Dichter heranzüchten wollte.
Darf ich an dieser Stelle eine kleine Episode aus meiner Jugend erzählen? Ich habe mein Studium im politisch bewegten Jahr 1968 begonnen. Egal, wo man damals war, irgendjemand drückte einem immer ein Flugblatt in die Hand. Als mich ein Vertreter eines maoistischen Grüppchens in der Mensa fragte, was ich von seinem Flugblatt hielte und ich, nachdem ich es überflogen hatte, in meiner Naivität als angehender Germanistikstudent sagte, das sei aber „schlechtes Deutsch“, da hat nicht viel gefehlt, und er wäre handgreiflich geworden.
Schlechtes Deutsch! Ich war als Bildungsbürger entlarvt.
Es sind dann andere Generation gekommen, aber Sprache und Literatur, so scheint es mir jedenfalls, haben sich von dieser Denunzierung des Bildungsbürgers, die auch heute noch in manchen linken Kreisen gang und gäbe ist, nicht wieder erholt. Dabei kann es doch gar nicht genug Bildungsbürger geben! Sie sind das Rückgrat einer Kulturnation – und es wäre schön gewesen, wenn man das auch im Wahlkampf von der einen oder anderen Partei einmal gehört hätte.